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Die Corona-Leugner*innen und die »zweite Welle«

In der Sommer-Ausgabe der Zeitung des AStA der Goethe-Universität Frankfurt durften wir einen längeren Artikel zu Strukturen und Ideologien der Corona-Leugner*innen-Szene in Frankfurt veröffentlichen. Dabei konnte nur die »erste Welle« der Proteste erfasst werden. Mit diesem Artikel, veröffentlicht in der Winter-Ausgabe der AStA-Zeitung, wollen wir an dieser Stelle ansetzen und die Entwicklung der rechtsoffenen Mischszene seit dem Sommer analysieren. Der Artikel entstand Anfang Dezember 2020.

»Im Falle einer zweiten Welle der Pandemie mit erneuten Einschränkungen des alltäglichen Lebens könnte es auch zu einem neuen Aufkommen der verschwörungsideologischen ›Protest‹- Kundgebungen kommen.« — Unsere Einschätzung aus unserem letzten Artikel in der AstA-Zeitung hat sich bewahrheitet. Insbesondere durch die Großaktionen in Berlin und Leipzig, bei denen es zu Ausschreitungen und Angriffen auf Journalist*innen und Linke kam, ist die Corona-Leugner*innen-Szene in aller Munde. Das Gewaltpotential der Szene steigt merklich, auch ein Brandanschlag auf das Robert-Koch-Institut zeugt davon. Wovor Antifaschist*innen bereits im Sommer warnten, ist inzwischen auch bei den Sicherheitsbehörden angekommen: Der baden-württembergische Verfassungsschutz stuft die Querdenken-Szene inzwischen als Beobachtungsobjekt ein. Die Konsequenz einer solchen Einstufung ist allerdings fraglich. Die Erfahrung zeigt, dass derartige nachrichtendienstliche Beobachtungen im Zweifelsfall eher dazu führen, dass rechte Milieus über V-Leute mit Staatsgeldern versorgt werden, als dass diese in ihrem Wirkungspotential eingeschränkt würden.

Dass die Corona-Leugner*innen-Szene zu mehreren Aktionen bundesweit Zehntausende mobilisieren konnte, hängt auch eng mit der rasanten Professionalisierung der Szene zusammen. Und mit der Marke Querdenken, die ihren Ursprung im Frühjahr in Stuttgart genommen hatte.

Querdenken und mobilisierbare Deutsche

Mit der Gruppe Querdenken711 gründet sich in Stuttgart bereits im April 2020 eine äußerst professionell auftretende Gruppierung im Spektrum der Corona-Leugner*innen. Seit Beginn wichtigste Person ist dabei der schwäbische IT-Unternehmer Michael Ballweg. In Stuttgart schafft es Querdenken711 innerhalb kurzer Zeit, bis zu 18.000 Menschen zu ihren Kundgebungen auf dem Volksfestgelände Cannstatter Wasen zu mobilisieren. Es ist überwiegend ein gutsituiertes, bürgerliches Publikum aus dem ganzen Südwesten, das zu Querdenken711 aufläuft. Deutschlandweit gilt Stuttgart damit als einzigartiges Phänomen in dieser frühen Phase der Proteste der Corona-Leugner*innen, von der Mobilisierbarkeit schwäbischer Kleinbürger*innen sind viele Beobachter*innen überrascht.

Auch das Zentrum Automobil, eine AfD-nahe extrem rechte »Pseudogewerkschaft«, mischt seit Beginn der Querdenken-Kundgebungen in Stuttgart mit. Zahlreiche Funktionäre der Gruppierung, die in verschiedenen Daimler-Werken in Stuttgart extrem rechte Betriebsratslisten aufstellt, haben eine Vergangenheit in der neonazistischen Szene. So auch der Vorsitzende Oliver Hilburger, der in der Nazirock-Band Noie Werte spielte. Insgesamt stellt sich das Zentrum Automobil als neofaschistische Scheingewerkschaft dar. Am Rande einer Querdenken-Kundgebung kommt es zu einem Angriff auf Vertreter der extrem rechten Gruppierung. Zusammen mit anderen Gegenaktionen sorgt dies dafür, dass Querdenken711 vorerst keine Großkundgebungen mehr in Stuttgart abhält. Doch die Szene ist keineswegs inaktiv, Michael Ballweg kandidiert im Herbst sogar bei den Wahlen zum Stuttgarter Oberbürgermeister. Doch lediglich 2,6 Prozent der Stimmen entfallen auf Ballweg.

Querdenken als Professionalisierungsstrategie

Auch wenn die Stuttgarter Querdenken-Gruppe im Sommer zunächst stagniert, läuft im Juni und Juli im Hintergrund eines bundesweite Kraftanstrengung: Die Formel aus »Querdenken« und der Telefonvorwahl des jeweiligen Ortes soll nach Ballwegs Willen zum bundesweit bestimmenden Franchise der Corona-Leugner*innen-Proteste ausgebaut werden. Die großen Mobilisierungserfolge sollen aus Stuttgart auf andere Städte übertragen werden. Bei einem überregionalen Vernetzungstreffen am 17. Juli trifft sich Ballweg unter anderem mit Hajo Köhn, ehemaliger Attac- und Occupy-Aktivist und nun Protagonist der Frankfurter Corona-Leugner*innen-Szene.

Mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Südwesten wird so auch Querdenken69 in Frankfurt aufgebaut. Damit ist auch ein Umdenken im Konzept der Proteste inbegriffen: Stand noch im Frühjahr und Sommer der allwöchentliche, maskenfreie »Hygiene-Spaziergang« durch die Innenstadt, teilweise chaotisch geplant und mit unterschiedlichen, parallelen Aufrufen, im Vordergrund, so fokussieren sich Querdenken-Gruppen auf professionelles Auftreten, Großevents im Abstand einiger Wochen, und bundesweite Vernetzung. Ein gemeinsames Corporate Design sowie ein Pool von Redner*innen und Musiker*innen sorgen dafür, dass die Querdenken-Kundgebungen überall ähnlich ablaufen. In Frankfurt finden derartige Aktionen ab dem Spätsommer etwa ein Mal pro Monat statt: Am 15. August auf dem Roßmarkt, am 19. September im Grüneburgpark, am 24. Oktober auf dem Goetheplatz.

Mit einem professionell auftretenden Orga-Team, das aus politisch bislang nicht oder kaum in Erscheinung getretenen Personen besteht, schafft es die Frankfurter Querdenken-Ortsgruppe in kurzer Zeit, die eigenen Events zum Anlaufpunkt für Corona-Leugner*innen aus ganz Südhessen werden zu lassen. Die Ortsgruppe verfügt über enorme Ressourcen und leistet sich schon auf Kundgebungen mit 500 Teilnehmenden LED-Wände und äußerst professionelles Veranstaltungsequipment. Zudem wurden die bundesweit mobilisierten Großaktionen in Berlin am 1. und 29. August sowie am 18. November, in Leipzig am 7. November, sowie die Aktionen in Konstanz und am Bodensee am 3./4. Oktober unterstützt. Auch wenn das Frankfurter Orga-Team nach moderate Positionen vertritt, sich seriös und ansprechbar gibt und keinen erkennbaren Kontakt zur extremen Rechten hält, wird nach und nach die Radikalisierung des Milieus auch dort spürbar. So vertritt die Sprecherin Malin Singh in einem Interview in der Frankfurter Rundschau Anfang November die Ansicht, die rechten Ausschreitungen in Leipzig seien ein erfreuliches Ergebnis des Corona-Leugner*innen-Aktionstags. Singh offenbart damit, dass sie kein Problem mit einem marodierenden Mob von Nazi-Hools hat. Auch auf Twitter zeigt sich ihre Offenheit für extrem rechte Ideologeme: In ihren Tweets raunt Singh vom angeblichen Fehlen eines Friedensvertrag und einer Verfassung und bedient damit zahlreiche Themen der Reichsbürgerideologie.

Angesichts schwacher Mobilisierungskraft für kontinuierliche wöchentliche Proteste und dem Scheitern spontaner Versammlungen wie Flashmobs hat die Szene mit dem Querdenken-Franchise ein für ihre Bedürfnisse nahezu perfektes Format gefunden: Großveranstaltungen im Abstand einiger Wochen, abgestimmt mit den Nachbarinitiativen wie Querdenken615 in Darmstadt und geprägt von professionellem Eventmanagement mit Bühnen- und Soundtechnik, eigenem Merchandise und sechsstündigem Programm. Diese Veranstaltungen haben regelrecht Messe-Charakter: An Ständen können Bücher gekauft werden, Autogrammstunden finden statt. Und am Rande wird, etwa mit gefälschten George-Soros-Zitaten oder dem Geraune, Guido Westerwelle sei vom Mossad gesteuert worden, immer wieder offener Antisemitismus verbreitet.

Radikalisierung ohne Ende?

Im Hebrst radikalisiert sich das Milieu der Corona-Leugner*innen schneller als von vielen Beobachter*innen erwartet. Auch Querdenken selbst scheint von dieser Radikalisierung vielfach überrascht und überfordert. So ziehen zahlreiche Querdenken-Gruppen ihre Unterstützung für die bundesweite Mobilisierung am 18. November nach Berlin zurück. An diesem Tag sind es schließlich AfD-Abgeordnete, die extrem rechte Medienaktivisten in den Bundestag lassen. Unter ihnen ist auch Thorsten Schulte, der noch am 19. September auf der Querdenken69-Kundgebung im Frankfurter Grüneburgpark gesprochen hatte. Nun pöbelt er gemeinsam mit anderen extremen Rechten im Deutschen Bundestag Abgeordnete an. Auch die massiven Ausschreitungen in Leipzig am 7. November führen zu nachträglichen, zaghaften Distanzierungen; zuvor hatte Michael Ballweg noch massive Mobilisierungen von AfD, NPD, Jungen Nationalisten (JN) und der neonazistischen Kleinpartei Der III. Weg zum Querdenken-Protest nicht weiter kommentiert und schulterzuckend zur Kenntnis genommen.

Hinzu kommt, dass die professionalisierte Herangehensweise des Querdenken-Franchises zu straffen Hierarchien und autoritärem Führungsstil führt. In Frankfurt entlud sich dies spätestens in den Vorbereitungen zur Demonstration am 14. November. Die Ortsgruppe Querdenken69 wollte hier erstmals mit einem Demonstrationszug durch die Stadt ziehen, wurde aber bereits im Bahnhofsviertel von Antifaschist*innen blockiert und zum Abbruch gezwungen. Zu der Demonstration hatte Querdenken69 gemeinsam mit der recht jungen Gruppierung Eltern stehen auf sowie den bereits länger aktiven Gruppen Widerstand 4.0 und MainFrankfurtVerbindet aufgerufen. Doch im Organisationskomitee wurden Streitigkeiten immer offener, schließlich sogar öffentlich, ausgetragen, was im Ausschluss der Vertreterin von Widerstand 4.0 aus dem Organisationskomitee gipfelte. Der Zwist lag dabei auch in ideologischen Differenzen begründet: Während Widerstand 4.0 eher aus altlinken, sektiererischen Anti-5Glern besteht, sind bei Querdenken69 neoliberale Technokraten aktiv. Auch in den Vorbereitungen der Demonstration am 12. Dezember treten diese Differenzen deutlich zutage. Die Mobilisierung setzt auf antisemitische Codes: Der Virus komme nicht aus Wuhan, sondern aus den Bankentürmen Frankfurts, von wo aus freilich die Strippen gezogen würden und die Pandemie eingefädelt worden sei. Antisemitismus fungiert also immer noch als Bindeglied unterschiedlicher Verschwörungserzählungen.

Wie weiter mit Querdenken?

Bei den bundesweiten Großmobilisierungen an Silvester nach Berlin oder am 19. Dezember nach Leipzig spielt Querdenken als Akteur nur noch eine untergeordnete Rolle. Es bleibt abzuwarten, ob damit bereits das Ende des Querdenken-Franchises als dominantem Akteur der Corona-Leugner*innen eingeläutet ist und nun erneut eine Phase verschiedener, konkurrierender Gruppierungen bevorsteht. Neben wöchentlichen »Spaziergängen« und monatlichen Demonstrationen gibt es schließlich eine immer größer werdende Reihe weiterer Angebote für Corona-Leugner*innen: Etwa Bus-Touren bekannter Gesichter der Szene, YouTube-Streams und nicht enden wollende Telegram-Chatgruppen. Das Geschäft mit den Corona-Leugner*innen brummt, überall werden T-Shirts, Bücher, oder gleich esoterische Quatschprodukte angeboten.

Eins scheint jedoch sicher: Das Milieu wird nicht verschwinden. Die Vernetzung, die hier aufgebaut wurde, wird wohl auch nach der Pandemie bestehen bleiben, wenngleich dann möglicherweise mit einem neuen Thema. Das bedeutet auch, dass Antworten auf die Virulenz von Verschwörungsideologien breiter diskutiert werden müssen, und nicht nur bezogen auf die CoViD-19-Pandemie.