Nach der Veröffentlichung unserer großen Recherche zum aktuellen Stand der Corona-Rechten werden wir fortan in unregelmäßigen Abständen Updates posten. Der hier vorliegende Text bezieht sich auf den Zeitraum vom 17. bis 28. Januar 2022.
Das Netzwerk Rhein-Main steht auf etabliert sich in der Organisierung von „Corona-Protesten“. Knapp 1000 Personen folgten ihrem Aufruf zu einem „großen Marsch für Frieden und Zusammenhalt“ am 22. Januar 2022 durch die Offenbacher Innenstadt. Als Bündnispartnerin standen Rhein-Main steht auf unter anderem die Freidenker Offenbach zur Seite, eine Ortsgruppe des aus einer linken Geschichte kommenden Deutschen Freidenker-Verbandes e.V., der noch im April 2020 Veranstaltungen im Offenbacher Naturfreundehaus durchführte. Mitglieder der Offenbacher Naturfreunde fanden sich am 22. Januar freilich auf der Gegenveranstaltung am Offenbacher Rathaus, die von einem Aktionsbündnis verschiedener Initiativen und Verbände organisiert worden war. Zur Teilnahme an der Demonstration der Corona-Rechten hatte auch die Offenbacher Alternative für Deutschland (AfD) aufgerufen, doch sie machte sich vor Ort nicht bemerkbar.
Eine Zählung am Anfang des Aufzuges ergab 910 Teilnehmende, eine Handvoll Personen schloss sich im weiteren Verlauf an. Die NPD erschien mit einer kleinen Gruppe und einem Transparent mit unmissverständlich nazistischer Propaganda: „Volksgemeinschaft statt Spaltung“. Dennoch waren die Neonazis an diesem Tag nicht „nur“ geduldet, sondern akzeptiert. Immer wieder gesellten sich Personen aus dem Kreis der Organisator*innen zur NPD-Truppe um die Parteifunktionäre Daniel Lachmann (Büdingen), Markus Lotz (Altenstadt) und Stefan Jagsch (Altenstadt), plauderten und scherzten mit ihnen. Dass sich die NPD – völlig zu Recht – willkommen gefühlt hatte, dokumentiert sie selbst in einem Video über ihren Auftritt, der bereits am nächsten Tag online ging.
Der Umgang mit der NPD an diesem Tag zeigt auch, dass es mitunter irreführend ist, von einer „Unterwanderung der Corona-Proteste“ durch extreme Rechte zu reden und zu schreiben. Das Vokabular „Unterwandern“ suggeriert, es handele sich dabei um ein verstecktes Einschleichen in eine Gruppe, Organisation oder Bewegung mit dem Ziel, diese zu prägen oder gar zu „übernehmen“. Doch die Neonazis schleichen sich nicht in die „Corona-Proteste“ ein und sie verstecken dort nichts. Sie treten offen neonazistisch auf und teilen ihre Aktivitäten und ihre damit verbundenen Hoffnungen und Ziele öffentlich mit. Sie sind – zumindest am 22. Januar in Offenbach – mit ihrer Volksgemeinschaft-Ideologie kein „eingedrungener“, sondern ein akzeptierter und integrierter Bestandteil der „Corona-Proteste“.
Eine Szene sollte diesen Tag prägen: Als Antifaschist*innen am Rande des Aufzuges gegen Verschwörungsideologien und den Schulterschluss von Corona-Leugner*innen und Impfgegner*innen mit extremen Rechten protestieren, schrie ihnen eine Teilnehmerin des „Corona-Protests“ mehrfach voller Inbrunst „Nazis raus!“ entgegen. Derweil zog keine zwei Meter hinter ihr die NPD mit ihrem Transparent vorbei. Das Video dieser Szene ging viral, denn deutlicher lassen sich Realitätsverlust und -verweigerung innerhalb der Corona-Rechten kaum veranschaulichen.
In Frankfurt hatte am 22. Januar der Kreis um den Bad Homburger Unternehmer Christoph Pfeiffer das organisatorische Zepter in der Hand. Pfeiffer trat dabei nicht in den Vordergrund, doch er schaffte die Technik herbei und filmte das Event. Seine Filme werden auf dem Videoportal Bitchute (Kanal „der_nachdenkende_mensch“) veröffentlicht.
An der Veranstaltung, die ab 15 Uhr im Holzhausenpark im Frankfurter Nordend begann, nahmen knapp 2.500 Personen teil. In Reihen der Corona-Rechten kursieren bis heute Fantasiezahlen bis zu 20.000 Teilnehmenden, doch tatsächlich wurden zu Beginn der Demonstration 2.100 und um 17 Uhr an der Konstablerwache 2.500 Teilnehmende gezählt. Da diese in lockeren Reihen liefen, war der Aufzug jedoch weit mehr als einen Kilometer lang, was den Eindruck erwecken konnte, es wären viele tausend Menschen beteiligt. Auffällig war der Charakter der Demonstration, die mit dröhnenden Bässen und einem Wagen, auf dem getanzt wurde, stellenweise eher einer Techno-Parade glich als einer Demo.
Anmelder war wie schon am 15. Januar der Frankfurter Richard Nzoulé. Er ist von Beruf Motivationscoach und „Personal Trainer“ in Sachen Fitness für wohlhabendes Frankfurter Klientel. In seinen Aussagen – nachzulesen auf seinem Facebook-Profil (gesichert am 24.1.2022) – vergleicht Nzoulé die Maskenpflicht mit den Verbrechen der Sklaverei. Er teilt Pöbeleien gegen Fridays for Future, hetzt gegen das Impfen, verharmlost die Pandemie und bezieht sich dabei vielfach auf rechte Quellen, wie auf Kanäle der AfD oder auf den österreichischen Fernsehsender ServusTV, der mehrfach Falschinformationen zur CoViD-19-Pandemie verbreitete. Als Schwarzer Aktivist in der Szene der Corona-Rechten kommt Nzoulé eine besondere Rolle zu: So führt ihn sein rechtes Umfeld ein ums andere Mal als „Beweis“ vor, ihre Bewegung, die täglich in Frankfurt auf die Straßen geht, sei frei von Rassismus und „Extremismus“.
Tatsächlich war der „Corona-Protest“ am 22. Januar in Frankfurt ein Stelldichein rechter WichtigmacherInnen. So trat die mittlerweile allgegewärtige Ingrid Reich auf, die im Holzhausen-Park eine Rede hielt. Auch auf den Stadtteil-Aufzügen greift sie immer wieder zum Mega- oder Mikrofon. In ihren Reden und in selbstgemachten Flugblättern, die sie auf den Demonstrationen verteilt, vertritt sie die wahnhaft anmutende Vorstellung, dass durch Impfungen Millionen von Menschen mittels „Giftspritzen“ ermordet werden (sollen). Dabei verweist Reich, die bei den letzten Kommunalwahlen für die FDP kandidierte, immer wieder auf den rechten Verschwörungsideologen Oliver Janich. Der ist Anhänger des QAnon-Kultes, Autor in der extrem rechten Zeitschrift Compact Magazin und hatte gefordert, Joe Biden und George Soros aufzuhängen sowie deutsche Regierungsmitglieder standrechtlich hinzurichten. Janich radikalisiert die Szene der Impfgegner*innen dadurch, dass er propagiert, dass sich jeder Mensch auch unter Einsatz von Schusswaffen dagegen wehren dürfe, „zwangsgeimpft“ zu werden.
Hauptredner im Holzhausen-Park war Thorsten Schulte, der nachfolgend auch den Aufzug anführte und mit der Polizei verhandelte. Schulte ist ein sogenannter „Crash-Prophet“, ein Vollprofi im Business mit der Angst. Sein durch und durch niederträchtiges Geschäftsmodell hatten wir bereits im Dezember 2020 in unserer Broschüre „Ohne Maske gegen Soros“ beschrieben. Schulte, genannt „Silberjunge“, beschwört den bevorstehenden Zusammenbruch des wirtschaftlichen und politischen Systems und empfiehlt vorsorgend die Wertanlage in Edelmetallen. Ein Geschäft, in dem er als Händler von Edelmetall und Autor von Fachbüchern gut verdient. Dabei propagiert Schulte mitunter offenen Rassismus, um die Angst seines Publikums zu schüren. So warnte er auf einer „Konferenz für Grenzwissen“ im Jahr 2020 etwa vor der Abschaffung der deutschen Nationalität hin zu einer „negroiden Zukunftsrasse“, die bereits seit den 1920er Jahren forciert werde. Bei seinen Auftritten bei der AfD, bei PEGIDA und nun bei den Corona-Rechten sucht sich Schulte aus der bunten Palette der Verschwörungsmythen jene aus, mit denen er das jeweilige Publikum einzunehmen weiß. Am Samstag, dem 22. Januar, trafen sich in Frankfurt eben nicht mehrheitlich zornige RassistInnen von PEGIDA, sondern das, was sich selbst eine bunte „Menschheitsfamilie“ nennt. In den verschiedenen Ecken des Holzhausen-Parks dudelte Musik von Nena („99 Luftballons“), Marius Müller-Westernhagen („Freiheit“) und Joan Baez („We shall overcome“), es waren mehr Peace-Zeichen und Friedenstauben als AfD-Logos zu sehen und der Schwarze Anmelder stand neben Schulte auf der Parkbank, von der die Reden gehalten wurden. So verkniff sich Schulte rassistische Dystopien, zitierte stattdessen Mahatma Gandhi und kumpelte Nzoulé in aufdringlicher Weise an. Dies gipfelte darin, dass er am Ende seiner Rede ein Buch von Martin Luther King in die Höhe hielt und diesen als Freiheitskämpfer und Vorbild im Kampf gegen eine „Corona-Diktatur“ preis. Eine an Perfidie kaum zu übertreffende Inszenierung, die der Großteil der anwesenden „Menschheitsfamilie“ mit tosendem Applaus bedachte. Nur die kleine Gruppe der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA), unter ihnen der stellvertretende Landesvorsitzende Nils Andersen (Frankfurt) und der Landesschatzmeister Manuel Wurm (Rödermark), klatschte in diesem Moment nicht und blickte stattdessen säuerlich drein. Doch beim nächsten Auftritt von Schulte bei der AfD werden sie ihrem „Silberjungen“ wieder zujubeln, wenn er den rassistischen Verschwörungsmythos vom „Großen Austausch“ bedient.
Zwischenzeitlich gesellte sich auch Felix Straubinger zur JA-Gruppe, der zuletzt im Mai 2020 mit dem Banner „Heimatschutz statt Mundschutz“ in Frankfurt aufgefallen war. So war es kein Wunder, dass am Rande der Route einzelne Sticker der „Jungen Bewegung Hessen“ auftauchten.
Das Grüppchen Widerstand 4.0 um Regina Stöber-Yurdakul und Gundolf Hambrock, die Pfeiffer erst unlängst die Zusammenarbeit aufkündigten, reihte sich mit einem Transparent in den Aufzug ein, verteilte Flugblätter und hielt über ein Megafon Reden, in denen sie die „Anerkennung der natürlichen Immunität“ forderten, Ungeimpfte zu „Freiheitshelden“ erklärten und den Bogen zu einer „Zentralbankkryptowährung“ und zur „digitalen Sklaverei“ schlugen. Doch zu einer Kundgebung am 25. Januar 2022 auf dem Opernplatz, für die Widerstand 4.0 auf der Demonstration am 22. Januar massiv geworben hatte, kamen dann gerade einmal 17 Personen. So bleibt als vorläufiges Resümee festzuhalten: Im November und Dezember 2021 spielten Hambrock und Stöber-Yurdakul für einige Wochen eine erhebliche Rolle bei den Frankfurter „Corona-Protesten“, da sie die Initiative zur Durchführung der ersten „großen“ Demonstration ergriffen hatten. Nun haben sich andere „Player“ das notwendige Knowhow angeeignet und – vor allem dank Telegram – funktionierende Netzwerke und Mobilisierungssysteme geschaffen. Die Kundgebungen von Widerstand 4.0, auf denen Hambrock und Stöber-Yurdakul ein ums andere Mal die Welt erklären, wirken im Gegensatz zu den „Spaziergängen“ und den Demonstrations-Events fürchterlich altbacken und unattraktiv. So dürfte der Weg von Widerstand 4.0 in die völlige Bedeutungslosigkeit führen.
Derweilen halten die täglichen „Aufzüge“ und „Spaziergänge“ in den Stadtteilen an. Wenngleich die Anzahl der Teilnehmenden der einzelnen Veranstaltungen leicht gesunken ist, so stellt sich das Geschehen weiterhin recht dynamisch dar. Am 25. Januar, als Widerstand 4.0 mit 17 Personen an der Alten Oper herum stand, fand gleichzeitig ein Aufzug von 80 Personen in Frankfurt-Heddernheim sowie ein „Spaziergang“ mit knapp 60 Teilnehmenden im Europaviertel und im Gallus statt. Auch die montäglichen „Spaziergänge“ in Frankfurt und zahlreichen Orten im Umland verzeichnen stagnierende oder leicht rückläufige Teilnehmer*innenzahlen, finden aber weiterhin statt.
Der Charakter der „Spaziergänge“ hat sich dabei vielerorts gewandelt. Anfangs liefen diese vielfach mit einer Standardrede vom Band und ansonsten recht lautlos ab, mittlerweile werden beständig Sprechchöre angestimmt, meist wird auch eine Musikanlage mitgeführt. Die Teilnehmenden sind auf einander eingespielt und haben an Sicherheit und Selbstvertrauen gewonnen. Vor allem: Sie haben sich kennen gelernt und sozial miteinander verbunden, die Stimmung ist familiär, man verabredet sich, bestärkt sich, schwört sich ein. Jedoch zeigen sich manche ob des massiven Protests, der sich in einzelnen Stadtteilen gegen diese Aufzüge formiert, irritiert. Vor allem in Heddernheim standen ihnen mehrfach bis zu 300 wütende Anwohner*innen gegenüber, die sie unter anderem mit Wasser begossen und mit Eiern bewarfen. Dies mag und wird manche Person abschrecken, die nicht dem harten kern der Szene zugehört. In diesem harten Kern ist der Realitätsverlust jedoch offensichtlich so weit fortgeschritten, dass diese Proteste von ihnen abprallen. Denn sie sehen sich als die Avantgarde eines Freiheitskampfes und auf einer Mission zur Errettung der „Menschheitsfamilie“.