Ohne Maske gegen Soros. Ideologie und Strukturen der Corona-Leugner*innen im Rhein-Main-Gebiet

Diese Online-Version unserer Recherche-Broschüre zu den Corona-Leugner*innen im Rhein-Main-Gebiet wird laufend aktualisiert. Zuletzt aktualisiert am 5. März 2021.

Inhaltsverzeichnis

  1. Über die Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien
  2. Einführung
  3. Chronologie der Proteste der Corona-Leugner*innen in Frankfurt
  4. Ideologien im Spektrum der Corona-Leugner*innen-Proteste
  5. Organisierte Rechte und die Pandemie-Leugner*innen
  6. Fazit

Über die Intiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien

Wir recherchieren zur Situation und Strategie der extremen Rechten in der CoViD-19-Pandemie und zu Verschwörungsideologien. Wir informieren über Strukturen und Ideologien der verschwörungsideologischen Szene sowie deren Mobilisierungen im Rhein-Main-Gebiet.

Darüber hianus beteiligen wir uns auch an der Planung direkter Protestaktionen.

Dabei sind wir auf Unterstützung angewiesen:
Informationen zu verschwörungsideologischen Szene im Rhein-Main-Raum, insbesondere zur Rolle der extremen Rechten auf deren Kundgebungen, werden gern per Mail entgegengenommen! Auch für andere Fragen und Anmerkungen zum Themenkomplex stehen wir gern zur Verfügung und freuen uns auf Austausch.

Kontakt Twitter

Überblickstexte

Wie hat sich die verschwörungsideologische Szene im Rhein-Main-Gebiet entwickelt? Dazu haben wir inzwischen mehrere Überblicksartikel publiziert:

  • Hintergrund: Was ist passiert? beleuchtet die Entwicklung verschwörungsideologischer Proteste zur CoViD-19-Pandemie von Anfang April bis Mitte Mai. In dieser frühen Phase waren es bekannte Personen aus der extrem rechten Szene, die die Proteste organisierten, vor allem Henryk Stöckl und Heidi Mund.
  • Von Aluhüten und Anonymous-Masken: Die „Corona-Rebellen“ in Frankfurt behandelt die weitere Entwicklung über den Sommer, bis zum Aufkommen der Gruppierung Querdenken69. Hier werden insbesondere verschiedene Initiativen, die zwischenzeitlich um die Deutungshoheit in Frankfurt konkurrierten, vorgestellt. Der Artikel wurde dankenswerterweise in der Zeitung des AStA der Goethe-Universität abgedruckt.
  • Die Corona-Leugner*innen und die „zweite Welle“ verhandelt die zweite Welle der Proteste, also insbesondere jene, die unter dem Label Querdenken69 stattfanden. Auch dieser Artikel wurde in der Zeitung des AStA der Goethe-Universität abgedruckt.

  • Für die Januar-Ausgabe 2021 des antifaschistischen Magazins LOTTA steuerten wir den Artikel Aus der Lethargie in die Offensive! bei, der insbesondere die strategischen Erfahrungen aus dem Gegenprotest gegen die Corona-Leugner*innen für die antifaschistische Linke diskutiert.
Einführung
NS-Relativierung auf der "Querdenken69"-Kundgebung am 24.10.2020
Unzweideutige NS-Relativierung: Auf der „Querdenken69“-Kundgebung auf dem Frankfurter Goetheplatz am 24. Oktober 2020 trägt ein Teilnehmer ein Schild mit der Aufschrift „Wollen wir es wirklich soweit kommen lassen?“, auf dem eine gesichtslose Masse von fingerzeigenden Gestalten zu sehen ist, die Mund-Nasen-Bedeckungen tragen, welche grafisch an die Hakenkreuzfahne angelehnt sind.

Mit dieser Broschüre legen wir, die Initiative Aufklärung statt Verschwörungsideologien, eine umfassende Bestandsaufnahme jener rechtsoffenen Mischszene vor, die sich im Laufe des Jahres 2020 auch in Frankfurt und dem Rhein-Main-Gebiet gebildet hat. Unter dem Eindruck der CoViD-19-Pandemie kam es hier zu Protesten, die wesentlich durch Leugnung der Pandemie und andere Verschwörungsideologien geprägt waren.

Schon seit April haben wir die Entwicklung der Szene in Frankfurt beobachtet und kennen daher ihre verschiedenen Akteur*innen, ihre Strategien sowie ihre Ideologien. Wir konnten beobachten, wie verschiedene, teils konkurrierende Gruppierungen Proteste initiierten, auf denen immer wieder Antisemitismus und andere rechte Ideologien verbreitet wurden. Wir freuen uns, unsere Erkenntnisse hier in gebündelter Form vorlegen zu können.

Die vorliegende Broschüre ist im Wesentlichen zweigeteilt: In einer Chronologie stellen wir die Entwicklung der verschwörungsideologischen Protestszene in Frnakfurt neben ihren wichtigsten Akteur*innen vor. Im zweiten Teil werden zentrale Elemente der Ideologie der Szene dargestellt. NS-Relatiiverung und Esoterik sind häufige Elemente der entsprechenden Kundgebungen; dennoch scheint es beim flüchtigen Blick beinahe so, als würden etwa auf Querdenken-Kundgebungen willkürliche Verschwörungserzählungen verbreitet. Und in der Tat ist die Bandbreite der Themen, die bei Protesten der Corona-Leugner*innen-Szene verhandelt wird, beachtlich: Mal geht es um Impfungen, mal um den 5G-Ausbau, Banken, das Regierungssystem – doch ein verschwörungsideologischer Kern verbindet die verschiedenen Erzählungen: Das Geraune, es seien böse Mächte aus dem Hintergrund, die die Fäden zögen, die Geschicke der Welt lenkten und auch die Pandemie erfunden hätten. Schnell wird deutlich, dass Antisemitismus den Kern verschwörungsideologischer Welterklärungen ausmacht. Daher ist es an uns allen, die Szene immer wieder mit antifaschistischem Protest zu konfrontieren und ihre Ideologien zu entlarven.

Wir danken allen, die diese Broschüre möglich gemacht haben, indem sie etwa für die Druckkosten gespendet oder Fotos zur Verfügung gestellt haben. Insbesondere danken wir der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnnen und Antifaschisten (VVN-BdA) sowie dem Bündnis Solidarisch durch die Krise für ihre Unterstützung und ihr Engagement, aber auch allen anderen, die in den letzten Monaten mit uns gegen Verschwörungsideologien und rechte Hetze und für einen solidarischen Umgang mit der Pandemie auf die Straße gegangen sind.

Nach wie vor sind wir auf Unterstützung angewiesen: Spenden für Druck- und Recherchekosten nehmen wir daher ebenso gern entgegen wie Fotos von Aktionen der Corona-Leugner*innen-Szene, Hinweise, Anregungen, Kommentare oder sonstige Informationen. Auch für einen Austausch zur Einschätzung der Szene stehen wir gern zur Verfügung. Wir freuen uns auf jede Kontaktaufnahme.

Auf unserem Blog finden sich auch weitere Artikel, die diese Broschüre ergänzen. Neue Informationen und Recherchen werden kontinuierlich hinzugefügt; auch dafür sind wir auf Hinweise und Material angewiesen, das gern per Mail geschickt werden kann.

Chronologie

Verschwörungsideologischer "Spaziergang" durch die Frankfurter Innenstadt am 9. Mai 2020
„Hygiene-Spaziergang“ durch die Frankfurter Innenstadt am 9. Mai 2020 auf der Einkaufsstraße Zeil. Deutlich zu sehen: Heidi Mund (7. v. l.) neben Hajo Köhn (10. v. l.). Im Vordergrund filmt der rechte YouTuber Henryk Stöckl für seinen Livestream. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Ihren Anfang nehmen die Proteste der Corona-Leugner*innen bereits im April. In dieser frühen Phase ist es vor allem der extrem rechte YouTuber Henryk Stöckl, der die unangemeldeten Kundgebungen in Frankfurt organisiert. Zunächst locken diese nur ein kleines Publikum, am 9. Mai ändert sich dies jedoch, als Hunderte durch die Frankfurter Innenstadt demonstrieren. Seither werden – von unterschiedlichen Gruppierungen – beinahe im Wochentakt Kundgebungen, „Spaziergänge“ oder andere Aktionen organisiert.

Mit dem Label Querdenken kann die Szene im Spätsommer und Herbst 2020 eine bundesweit bekannte Marke mit teilautonomen Ortsgruppen in allen größeren und vielen kleineren Städten erschaffen. Querdenken agiert dabei wie ein Franchise und kann so in kurzer Zeit zu einer erheblichen Professionalisierung der Strukturen der Corona-Leugner*innen beitragen. Auch das Frankfurter Orga-Team inszeniert sich als bürgerlich und professionell, hält aber gleichzeitig engen Kontakt zu radikaleren Corona-Leugner*innen. Als die bundesweite Querdenken-Führung um den Stuttgarter Michael Ballweg im Winter 2020 verkündet, eine Pause einlegen zu wollen – wohl aus Angst vor Repression und angesichts des zunehmenden Gegenprotests – zieht auch die Frankfurter Ortsgruppe mit. Das letzte Kapitel der Proteste ist damit allerdings noch nicht geschrieben, neue Gruppen organisieren nun Kundgebungen in Frankfurt, die allerdings nicht die Mobilisierungserfolge von Querdenken erreichen.

Massenweise Angriffe auf Linke oder Journalist*innen durch organisierte Nazi-Hools wie in Leipzig am 7. November 2020 gehörten in Frankfurt zwar bislang nicht zum Bild der verschwörungsideologischen Proteste, doch tritt auch hier die Radikalisierung der Szene deutlich zutage: In Chatgruppen äußern selbst Teile des Orga-Teams von Querdenken69 unverblümt Gewaltfantasien; am Rande von Demonstrationen und „Spaziergängen“ kommt es immer wieder zu Übergriffen und Handgreiflichkeiten von Corona-Leugner*innen gegenüber Journalist*innen, Beobachter*innen oder linken Gegendemonstrant*innen. Die Radikalisierung des Milieus schreitet offensichtlich voran. Der „harte Kern“, der nach dem Querdenken-Ausstieg übrig blieb, radikalisiert sich weiter.

Frühjahr 2020: Der Beginn der Proteste
Henryk Stöckl und Inge Steinmetz am 11.4.2020 vor der Alten Oper
Henryk Stöckl, gelernter Immobilienkaufmann aus Bad Homburg, vor der Alten Oper am 11. April 2020. Dahinter zu sehen: Inge Steinmetz aus Oestrich-Winkel, oft zusammen mit Stöckl unterwegs.

Schon im April 2020 werden in Frankfurt Aktionen gegen die Corona-Kontaktbeschränkungen organisiert. Anfangs ruft der notorische Fake-News-Superspreader und extrem rechte Medienaktivist Henryk Stöckl dazu auf, sich unangemeldet samstags vor der Alten Oper zu versammeln. Stöckl kommt aus dem Kreis der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative Hessen. Er folgt mit der Mobilisierung zur Alten Oper einem Aufruf der Heidelberger Rechtsanwältin Beate Bahner. Letztere wird im April 2020 kurzzeitig zur landesweiten Worführerin der „Corona Rebellen“. Doch Bahner fällt kurz danach aus: Sie sieht sich von Killern verfolgt, bittet die Polizei um Hilfe, und landet schließlich in der Psychiatrie, wo sie sich zumindest sicher fühlt.

Heidi Mund am 25. April 2020 auf dem Opernplatz
Heidi Mund stößt erstmals am 25. April 2020 zu den Kundgebungen vor der Alten Oper. Immer dabei: ihre „Jesus Christus Herr“-Fahne

Noch im April taucht eine weitere alte Bekannte aus dem extrem rechten Spektrum bei den Protesten der Frankfurter Corona-Leugner*innen auf: Heidi Mund. Die evangelikale Nationalistin Mund, Ehefrau des Vorsitzenden der extrem rechten Frankfurter Partei Bürger für Frankfurt (BFF), hatte in den Jahren 2015 und 2016 den Frankfurter Ableger der rassistischen PEGIDA-Bewegung angeführt. Im April 2020 werdne die Aktionen der Corona-Leugner*innen also insgesamt noch deutlich von extrem rechtem Personal getragen und fallen kaum auf fruchtbaren Boden: Manchmal sammeln sich kaum mehr als zehn Unterstützer*innen auf dem Opernplatz. Zwar befinden sich in deren Umkreis weitere, unschlüssig wirkende Personen, die möglicherweise mobilisiert worden waren – doch sie trauen sich nicht, sich vor der Alten Oper „auf dem Präsentierteller“ zu erkennen zu geben.

Auch die Gruppe Beweg Was (in Dir), die bereits zuvor durch rechtsoffene Kundgebungen in Mainz aufgefallen war, veranstaltet im April Kundgebungen auf dem Paulsplatz. Dabei fällt vor allem auf, dass auf diesen Kundgebungen in Redebeiträgen und auf Transparenten NS-Relativierung betrieben wird: Unter anderem werden die Corona-Verordnungen der Länder, die Kontaktbeschränkungen vorsehen, als „Ermächtigungsgesetze“ bezeichnet. Gleichwohl finden sich zu diesen Kundgebungen kaum mehr als 40 Personen ein – auch hier scheint das Mobilisierungspotential zunächst gering.

Heidi Mund und Hajo Köhn am 9. Mai 2020
Heidi Mund und Hajo Köhn halten eine gemeinsame Abschlussrede nach dem unangemeldeten „Spaziergang“ durch die Innenstadt am 9. Mai 2020

Am 9. Mai ändert sich dies. 400 Menschen demonstrieren spontan in der Frankfurter Innenstadt, auf der Einkaufsstraße Zeil wird eine Reichsfahne geschwenkt. Am Ende des Spaziergangs halten Hajo Köhn und Heidi Mund eine gemeinsame Abschlussrede und beklatschen sich gegenseitig. Köhn ist ehemaliger Aktivist von Attac und der Occupy-Bewegung und Teil der bis dahin im linksalternativen Frankfurter Club Voltaire ansässigen Initiative Neue Geldordnung. In seinen Augen sind die Proteste gegen die CoViD-19-Maßnahmen eine linke Angelegenheit, dennoch hat er offenbar wenig Berührungsängste gegenüber Verschwörungsideologien und Rechten.

Köhn steht damit sinnbildlich für einen zweiten Typus der „Hygiene“-Spaziergänger*innen neben bekannten oder erkennbar Rechten: gutsituierte Menschen mittleren Alters, die sich selbst als links oder zumindest aufgeklärt verstehen, oft bereits in der Umweltschutz- oder Friedensbewegung aktiv waren und dies darüber verdeutlich wollen, dass sie mit Zitaten von Mahatma Gandhi und Martin Luther King um sich werfen. Ein anderes Beispiel für diesen Typus ist der frühere Techno-Musiker Jan Veil, der in den 1980er Jahren mit der Band Moskwa TV internationale Erfolge hatte und bis Ende 2020 Mitglied des Landesvorstands von Mehr Demokratie e.V. Hessen ist. Dabei handelt es sich um einen linksliberalen Verein, der sich für mehr direktdemokratische Verfahren wie Bürger*innenentscheide stark macht. Veil hatte noch im Jahr 2019 auf der gewerkschaftsnahen Ein Europa für Alle-Demonstration in Frankfurt gesprochen. Im Jahr 2020 verbreitet er nun Verschwörungsideologien zur CoViD-19-Pandemie, legt sein Vorstandsamt bei Mehr Demokratie Hessen aber im Laufe des Jahres nieder.

Jan Veil
Jan Veil, zunächst bei der Gruppierung „Widerstand 4.0“ aktiv, später im „Querdenken69“-Umfeld
Gundolf Hambrock
Gundolf Hambrock von der Gruppe „Widerstand 4.0“

Gemeinsam mit de ehemaligen Berufsschullehrer Gundolf Hambrock und der Computergrafikerin Gerta-Regina Stöber-Yurdakul ist Veil zunächst in der Gruppe Widerstand 4.0 – Aktionsgruppe gegen Coronamaßnahmen und 5G (inzwischen Widerstand 4.0 – Aktionsgruppe gegen die technokratische Diktatur, Industrie 4.0 und Transhumanismus) aktiv, später auch im Querdenken69-Milieu. Die Gruppierung Widerstand 4.0 entwickelt sich dabei aus der vormaligen Gruppe Frankfrut 5G-frei, die 2019 als Bürger*inneninitiative gegründet worden war. Ihre ➡ Anti-5G-Kundgebungen werden bereits früh zum Anziehungspunkt für Corona-Leugner*innen. Hier beginnen nun „Hygiene-Spaziergänge“ der „Corona Rebellen“, maskenfreie Spontandemonstrationen durch die Innenstadt – zudem werden nach und nach auch inhaltliche Gemeinsamkeiten immer klarer.

Sommer 2020: Ein Ringen um Hegemonie

Bei ihrer gemeinsame Abschlussrede des großen unangemeldeten „Hygiene-Spaziergang“ vom 9. Mai 2020 herrscht noch traute Eintracht zwischen Heidi Mund und Hajo Köhn. Um sie herum wuseln der rechte YouTuber Henryk Stöckl und der extrem rechte AfDler Carsten Härle, aber auch ein bunter Querschnitt von mobilisierten „Corona Rebellen“ aus unterschiedlichen Altersgruppen. Mund ruft in ihrer Rede allsamstägliche Spaziergänge ab dem Opernplatz aus, die Zuhörenden jubeln – auch Hajo Köhn klatscht begeistert mit.

Doch Köhn, immerhin mit einem linken Selbstverständnis angetreten, gerät nach diesem gemeinsamen Auftritt mit Mund, der auch in der Presse thematisiert wird, unter Rechtfertigungsdruck. Er selbst scheint von der Mobilisierbarkeit unberechnbarer Kleinbürger*innen überrascht und kündigt an, dem Protest eine Form geben zu wollen, auf der rechtes Gedankengut nicht geduldet werde. Und so meldet er eine Kundgebung für den folgenden Samstag, den 16. Mai, auf dem Rathenauplatz an. Zwar sind bekannte Rechte wie Stöckl und Mund hier offiziell unerwünscht, rechte Verschwörungsideologien sind auf Köhns Kundgebung dennoch omnipräsent. Gegen Ende der Kundgebung kommt es zu einem heftigen Streit zwischen Köhn und Mund um das Megafon und das vermeintliche „Recht“ Munds, eine Rede zu halten. Nachdem Heidi Mund durch Köhn ausgeschlossen wird, beschimpft sie ihn als Marxisten und warnt davor, der politischen Linken auf den Protesten Raum zu geben. Mund hält ihre Abschlussrede schließlich vor nur noch etwa 40 Personen – ausschließlich Polizist*innen, die zu ihrem Schutz abgestellt worden waren.

In dieser Zeit zeigt sich die Wirkmächtigkeit der Telegram-Gruppen: Ständig werden neue Chatgruppen gegründet, zwischenzeitlich kursieren bis zu fünf verschiedenen Treffpunkte für maskenfreie „Spaziergänge“ durch die Innenstadt. Die Telegram-Gruppen dienen auch als Austauschplattform für Links zu den Plattformen der eigenen Medienwelt: Rubikon und Epoch Times gehören ebenso zu diesem Kanon wie die alteingessenen rechten Magazine Junge Freiheit oder COMPACT. Schon in dieser frühen Phase der Vernetzung finden sich in den Chats immer wieder ➡ Reichsbürgerideologie, Rassismus und ➡ Antisemitismus. Das zeigt: Eine „rechte Unterwanderung“, die macnhmal behauptet wird, hat es bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen nie gegeben. Vielmehr werden in den internen Diskursen schon seit Beginn der Proteste Themen verhandelt, die deutliche Anknüpfungspunkte für (extreme) Rechte bieten – oder gar fest zum ideologischen Inventar der extremen Rechten gehören.

Neben der bereits benannten Gruppierung Widerstand 4.0 bilden sich in der Folge zwei weitere Hauptströmungen aus: Eine Gruppe um Hajo Köhn versucht fortan, zunächst im Rahmen des Parteigründungsprojekts Widerstand2020 (welches kurz darauf scheitert) und später unter dem Namen MainFrankfurtVerbindet, eigene Kundgbeungen in der Innenstadt sowie an der außerhalb gelegenen Weseler Werft zu etablieren. Doch Köhn scheitert bereits im Juni am mangelnden Publikum; zu einer letzten Kundgebung am 22. August 2020 kommen kaum mehr als 30 Personen. Regelmäßig tritt hier auch der bereits genannte Jan Veil auf, der schließlich die Publikation Corona Fakten für MainFrankfurtVerbindet herausgibt, welche zunächst gedruckt, später online vermeintliche „Wahrheiten“ zu liefern behauptet. Mehr Aktivität geht von MainFrankfurtVerbindet nach August 2020 allerdings nicht mehr aus; ehemals regelmäßig dort auftretende Musiker, Redner*innen und Teilnehmende tauchen größtenteils bei Querdenken69 wieder auf.

Neben der Gruppe um Hajo Köhn bildet sich noch eine zweite Hauptströmung, die sich vor allem auf das Durchführen von „Spaziergängen“ konzentriert. Diese „Spaziergänger“ treffen sich oft an der Alten Oper – bisweilen im Rahmen der oft dort stattfindenden Widerstand 4.0-Kundgebung –, um von dort aus zu „Hygiene-Spaziergängen“ durch die Innenstadt aufzubrechen. Zwischen 15 und 60 Personen können dafür üblicherweise mobilisiert werden; die „Spaziergang“-Teilnehmenden haben mit der Telegram-Gruppe Neustart Jetzt nach kurzer Zeit auch ein eigenes Austauschformat geschaffen. Immer wieder kursieren auch Aufrufe, sich vor oder nach anderen Kundgebungen noch zum „Spaziergang“ zu treffen. So wird etwa vom Römerberg zur MainFrankfurtVerbindet-Kundgebung an der Weseler Werft spaziert, zu Querdenken69-Großevents oder es wird sich zu Flashmobs in der Stadt verabredet, die größtenteils scheitern. Meistens finden diese unangemeldeten Spontandemonstrationen ohne besonderen Ausdruck statt, lediglich Buttons oder vereinzelte Plakate weisen auf den politischen Charakter des „Spaziergangs“ hin – hauptsächlich jedoch setzt man auf die Wirkung einer großen, ohne Mund-Nasen-Bedeckungen umherlaufenden Menschenmenge. Im November wird zusätzlich auch zu verkleideten „Spaziergängen“ aufgerufen, etwa mit weißen Maleranzügen und Anonymous-Masken, wodurch einzelne „Spaziergänge“ eher den Charakter einer theatralischen Prozession annehmen.

Eine Juli scheint es fast, als sei die Protestbewegung der Pandemie-Leugner*innen in Frankfurt zum Erliegen gekommen. Mehrere Male waren ihre Proteste zu dieser Zeit schon am antifaschistischen Gegenprotest gescheitert, die Infektionszahlen auf niedrigem Stand und viele Einschränkungen des öffentlichen Lebens vorerst wieder zurückgenommen. Die „Corona Rebellen“ lösen ihre Telegram-Gruppen zwischenzeitlich auf, die Initiative Beweg Was, die noch im April regelmäßig Kundgebungen an der Paulskirche veranstaltet hatte, wird inaktiv und verlegt sich auf Livestreams. Doch die Szene organisiert sich neu, nun unter dem Label Querdenken.

Herbst 2020: Das Querdenken-Franchise betritt die Bühne

Mit der Gruppe Querdenken711 gründet sich in Stuttgart bereits im April 2020 eine äußerst professionelle auftretende Gruppierung im Spektrum der Corona-Leugner*innen. Seit Beginn wichtigste Person ist dabei der schwäbische IT-Unternehmer Michael Ballweg. Bei einem Vernetzungstreffen am 17. Juli 2020 trifft er sich auch mit Vertretern der Frankfurter Corona-Leugner*innen-Szene, darunter Hajo Köhn. Tatsächlich läuft im Juni und Juli eine bundesweite Kraftanstrengung: Die Formel aus „Querdenken“ und der Telefonvorwahl des jeweiligen Ortes soll nach Balwegs Willen zur bundesweit bestimmenden Wortmarke der Corona-Leugner*innen ausgebaut werden. Nachdem es gelungen war, in Stuttgart zeitweise über 10.000 Teilnehmende zu mobilisieren, soll dies nun auf andere Städte übertragen werden.

Mit tatkräftiger Unterstützung aus dem Südwestn wird daher auch Querdenken69 in Frankfurt aufgebaut. Damit geht auch ein Umdenken im Konzept der Proteste einher: Nicht mehr der allwöchentliche maskenfreie „Spaziergang“ steht im Mittelpunkt der professionell auftretenden Gruppe, sondern Großevents mit einigen Wochen Abstand, terminlich abgestimmt mit benachbarten Initiativen wie Querdenken615 in Darmstadt.

Joël Roux und Malin Joy Singh
Joël Roux und Malin Joy Singh, Orgateam von „Querdenken69“

Organisiert werden die Querdenken69-Events maßgeblich von Joël Roux, der zuletzt beim australischen Generalkonsulat in Frankfurt arbeitete. Ebenfalls Teil des Querdenken69-Organisationsteams sind Malin Joy Singh und zunächst Jule Tietjen; ab November spielt auch Frank „Franky“ Müller eine immer prominentere Rolle bei Querdenken69.

Frank "Franky" Müller
Frank „Franky“ Müller, ab dem späten Herbst 2020 in die Organisation von „Querdenken69“-Veranstaltungen eingebunden

Unter ihrer Ägide richtet sich die Frankfurter Querdenken-Gruppe von Anfang an nach jener aus Stuttgart und unterstützt insbesondere auch die bundesweit mobilisierten Großaktionen in Berlin am 1. und 29. August sowie am 18. November 2020, in Leipzig am 7. November, sowie die Aktionen in Konstanz und am Bodensee am 3./4. Oktober 2020. Das Frankfurter Organisationsteam vertritt nach außen moderate Positionen, gibt sich seriös und ansprechbar, organisiert Crowdfundings für Anwaltskosten und hat keinen erkennbaren Kontakt zur extremen Rechten. Zwar nehmen auf dere Kundgebungen, etwa am 19. September 2020 im Grüneburgpark, auch einzelne Neonazis teil, doch diese geben sich entweder (durch Symbole oder Aussagen) nicht als solche zu erkennen, oder sind nur für geschulte Augen anhand ihrer Shirts zu erkennen.

Bei der Kundgebung am 19. Setpember im Grüneburgpark redet auch Thorsten Schulte, der in seinem Redebeitrag eine diffuse Elitenkritik voller Geraune und antisemitischer Anspielungen verbreitet. Schulte steht beispielhaft für eine weitere Gruppe, die unter den angeblich „Querdenkenden“ eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt: die Geschäftemacher. Der Buchmarkt über Apokalypse und Verschwörungen, gefüllt von Banalitäten und Plattitüden, die als wertvolle Insidertipps verkauft werden, brummt. Alle möglichen Unternehmen verkaufen Lebenshilfe, „neue Horizonte“, und die Befriedigung darüber, etwas zu durchschauen, was „Unwissende“ nicht durchschauen können.

Oft sind auf den Querdenken-Kundgebungen schwarze T-Shirts mit einem gelben Kreis zu sehen; diese werden vom YouTube-Guru Heiko Schrang verkauft. Das Geschäft scheint prächtig zu laufen. Die bis in den Herbst stattfindende allwöchentliche Yoga-stunde von Querdenken69 im Günthersburgpark wird von einer professionellen Yoga-Lehrerin geleitet. Sie wirbt dabei für teure Workshops, welche die Kund*innen in bisher nicht erlebte Erkenntnissphären führen soll.

Heiko-Schrang-Shirt auf einer Corona-Leugner*innen-Kundgebung am 16. Mai 2020
Eine Teilnehmerin einer Corona-Leugner*innen-Demo trägt ein Shirt mit der Aufschrift „erkennen erwachen verändern“, wie es vom YouTuber Heiko Schrang vertrieben wird. Das Foto entstand am 16. Mai 2020 am Frankfurter Opernplatz. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Das hohe Spendenaufkommen von Querdenken läuft über Privatkonten: In Frankfurt verwaltet Roux die Finanzen, bundesweit ist es Ballweg selbst, der sämtliche Markenrechte an „Querdenken“ hält, auch an Namensvariationen mit Ortskennung. Von dem Verkauf von Querdenken69-Merchandise kommt also kein Cent in Frankfurt an, wie Malin Singh selbst in einem Interview einräumen musste. Auch in Bezug auf die Finanzen wird Professionalisierung angestrebt, Grund dafür ist auch die bessere Verschleierung der Finanzströme und des Spendenaufkommens: Beim Regierungspräsidium Darmstadt befindet sich derzeit die Gründung einer Stiftung Querdenken711 in Vorprüfung – ihren Sitz soll die Stiftung in Frankfurt haben. Außerdem will Ballweg eine gemeinnützige GmbH und eine nicht-gemeinnützige GmbH gründen. Stiftungen sind in der Regel nicht dazu verpflichtet, ihre Finanzierung öffentlich zu machen. Doch Recherchen von Netzpolitik.org und dem ZDF Magazin Royale sowie Ermittlungen des Finanzamtes Stuttgart machen Ballwegs Geschäftsplänen im Winter 2020 zunächst einen Strich durch die Rechnung. Auch darum kündigt er im Dezember eine Pause an.

Info- und Verkaufsstand bei "Querdenken69" am 24.10.2020 in Frankfurt
Das Geschäft brummt: Info- und Verkaufsstand bei der „Querdenken69“-Kundgebung am 24. Oktober 2020 auf dem Frankfurter Goetheplatz

Angesichts schwacher Mobilisierungskraft für kontinuierliche wöchentliche Proteste und dem Scheitern spontaner Versammlungen wie Flashmobs hat die Szene mit den Querdenken-Franchise im Sommer 2020 ein für ihre Bedürfnisse nahezu perfektes Format gefunden: Großveranstaltungen im Abstand einiger Wochen, geprägt von professionellem Eventmanagement mit Bühnen- und Soundtechnikm eigenem Merchandise und sechsstündigem Programm. Die Veranstaltungen haben regelrecht Messe-Charakter: An Ständen können Bücher gekauft werden, Autogrammstunden finden statt. Trotz allen professionellen Anstrichs verbreitet die Querdenken69-Organisatorin Malin Singh auf Twitter die ➡ Reichsbürgerideologie vom fehlenden Friedensvertrag der BRD und feiert die rechte Ausschreitungen bei Corona-Leugner*innen-Demos in Leipzig und Berlin.

Auf der Querdenken69-Kundgbeung mit 400 Teilnehmenden im Grüneburgpark am 19. September ist ein Schild mit einem gefälschten George-Soros-Zitat zu sehen, gleich neben Tafeln über die Bankiersfamilie Rothschild, die deren angebliche Weltbeherrschungspläne belegen sollen. Soros ist ein ungarisch-US-amerikanische jüdischer Investor und Philantrop. Sowohl Soros als auch die Familie Rothschild werden hier zur Projektionsfläche für offenen ➡ Antisemitismus – und das ausgerecnet, im Grüneburgpark, der einst im Privatbesitz der Familie Rothschild und 1935 von den Nazis enteignet worden war. Keine Ausnahme bei Querdenken-Kundgebungen: Die entsprechenden Zitat-Tafeln sind auch auf Kundgebungen in Wiesbaden immer wieder zu sehen.

Mehr Infos zu George Soros als Feindbild von Rechten gibt es hier.

Antisemitisches Plakat bei der "Querdenken69"-Kundgebung am 19.09.2020
Ein antisemitisches Plakat mit einem gefälschten George-Soros-Zitat, das auf der „Querdenken69“-Kundgebung im Grüneburgpark am 19. September 2020 zu sehen ist. Foto: Das Versteckspiel
Winter 2020/21: Schwindende Stabilität und neue Akteur*innen

Im Herbst 2020 radikalisiert sich das Milieu der Corona-Leugner*innen schneller als von vielen Beobachter*innen erwartet. Auch Querdenken selbst scheint von dieser Radikalisierung überrascht und überfordert. So ziehen zahlreiche Querdenken-Gruppen ihre Unterstützung für die bundesweite Mobilisierung am 18. November 2020 nach Berlin zurück. Auch die massiven Ausschreitungen in Leipzig am 7. November führen zu nachträglichen, zaghaften Distanzierungen – zuvor hatte Michael Ballweg noch massive Mobilisierungen von AfD, NPD, Jungen Nationalisten (JN) und der neonazistischen Kleinstpartei Der III. Weg zum Querdenken-Protest nicht weiter kommentiert.

Hinzu kommt, dass die professionalisierte Herangehensweise des Querdenken-Franchises zu straffen Hierarchien und autoritärem Führungsstil führt. In Frankfurt entlädt sich dies spätestens in den Vorbereitungen zur Demonstration vom 14. November 2020. Erstmals plante Querdenken69 statt stationären Kundgebungen hier eine Demonstration durch die Stadt, gemeinsam mit der relativ neuen Gruppierung Eltern stehen auf sowie den bereits genannten Gruppen Widerstand 4.0 und MainFrankfurtVerbindet. Doch im Organisationskomitee werden Streitigkeiten immer offener – schließlich sogar öffentlich – ausgetragen, was im Ausschluss von Regina Stöber-Yurdakul, Vertreterin von Widerstand 4.0, aus dem Organisationskomitee gipfelte. Die Demonstratio wurde von Antifaschist*innen erfolgreich blockiert und zum Abbruch gezwungen.

Der Zwist zwischen Widerstand 4.0 und Querdenken69 liegt auch an ideologischen Differenzen: Hier die altlinken, sektiererischen Anti-5Gler – dort die neoliberalen Technokraten wie Roux und vor allem „Franky“ Müller. Letzterer hält auf der Demosntration am 14. November ausschweifende Redebeiträge, während Gundolf Hambrock, zunächst als Redner für Widerstand 4.0 vorgesehen, von der Redeliste gestrichen. Auch in den Vorbereitungen der schließlich verbotenen Demonstration am 12. Dezember treten diese Differenzen deutlich zutage.

Bei den bundesweiten Großmobilisierungen an Silvester 2020/21 nach Berlin oder am 19. Dezember 2020 nach Leipzig (beides weitgehend verboten) spielt Querdenken als Akteur nur noch eine untergeordnete Rolle. Mit dem angstgetriebenen Rückzug aus der Öffentlichkeit hat das Querdenken-Franchise seine Rolle als dominanter Akteur der Corona-Leugner*innen-Szene verloren. Erneut sind es seitdem verschiedene Gruppierungen, die konkurrierende Veranstaltungen durchführen: Die Intiative Beweg Was um den Mainzer Thomas Gauer mit regelmäßigen „Schweigemärschen“ unter dem absurden Motto „Wir müssen reden“, Widerstand 4.0, die sich im Januar 2021 auf Autokorsos verlegen, sowie die Darmstädter Gruppe Querdenken615 um Christoph Barth, die die bundesweit verordnete Politik-Pause nicht befolgen. Auch neue Gruppen tauchen auf und nennen sich etwa „Freiheitskämpfer“.

Ideologien im Spektrum der Corona-Leugner*innen-Proteste
Alte Mythen in neuen Gewändern: Antisemitismus in Zeiten der Krise
Gelber Stern mit der Aufschrift "Ungeimpft" am Ärmel eines Corona-Leugers in Frankfurt
Auf einer Corona-Leugner*innen-Demonstration in Frankfurt im April 2020 trägt ein Teilnehmer einen gelben Stern mit der Aufschrift „Ungeimpft“. Foto: Peter Jülich

Die CoViD-19-Pandemie erweckt Gefühle der Verunsicherung. In solchen Zeiten ist das Verlangen, eine Erklärung für die bedrückenden Umstände zu finden, besonders groß. Verschwörungsmythen haben deshalb wieder Hochkonjunktur, weil sie einfache Antworten auf komplexe gesellschaftliche Verhältnisse geben. Dabei funktionieren ihre verkürzten zumeist, indem ein Verantwortlicher ausgemacht wird, dem die Schuld zugeschoben wird und er dann schließlich – ob digital oder real – markiert und angegriffen werden kann.

Die Suche nach simplen Erklärungen für Leid und Elend durchzieht Jahrhunderte der Menschheitsgeschichte und ist ein zentraler Grund dafür, dass Menschen gefährlichem Verschwörungsglauben anhängen. Seit jeher verantwortlich gemacht für Verbrechen, Seuchen und Unheil aller Art wurde in Europa stets die jüdische Bevölkerung. Verschwörungsmythen wie jene vom „Ritualmord“ oder der „Brunnenvergiftung“, wobei beides den Jüd*innen zugeschrieben wird reichen bis ins Hoch- und Spätmittelalter zurück.

Auch aktuelle Verschwörungsmythen haben stets eine antisemitische Komponente. In besonders einschneidenden Momenten wie der CoViD-19-Pandemie erfahren sie eine Aktualisierung. Ihre Verbreiter*innen treten in die Öffentlichkeit und finden Widerhall. Zu heutigen Verfechter*innen der antisemitisch geprägten Desinformation gehören ➡ Anti-5G-Initiativen, ➡ QAnon-Anhänger*innen und Corona-Leugner*innen. Sie erfreuen sich einer wachsenden globalen Anhänger*innenschaft, nicht zuletzt aufgrund ihrer Präsenz im Internet. Gleichzeitig werden derart krude Standpunkte auch vermehrt auf die Straße getragen: Bei den Querdenken69-Veranstaltungen wird verlautbart, durch CoViD-Impfungen werde die Menschheit mit dem Ziel einer Komplettüberwachung und Steuerung „gechippt“. Verantwortlich sei Microsoft-Gründer Bill Gates, der Weltbeherrschungspläne hege. Was sich zunächst nach wilden Fantasien anhärt, stößt leider auf viel Resonanz.

Die Anhänger*innenschaft von Querdenken besteht aus einer Querfront von Esoteriker*innen, Altlinken, Evangelikalen über Reichsbürger*innen bis in die extreme Rechte. Ihre Inhalte erscheinen – solange die persönlichen Verschwörungsfavoriten eingebracht werden können – bisweilen zunächst ähnlich beliebig wie ihre Zusammensetzung. Einigung finden sie jedoch in ihrem antisemitischen Weltbild. Immer wieder werden auf Corona-Leugner*innen-Demonstrationen Relativierungen des Holocausts vorgenommen. Mehrfach trage Demonstrierende in Frankfurt einen gelben Stern mit Aufschriften wie „ungeimpft“ oder „zu Impfen“. Impfgegner*innen beklagen eine angebliche Verfolgung ihrer politischen Positionen und vergleichen diese mit dem antisemitischen Terror der NS-Herrschaft. In Karlsruhe applaudieren Teilnehmende einer Querdenken-Demo, als ein Mädchen beschreibt, sie hätte sich gefühlt wie Anne Frank im Hinterhaus, als sie ihre Geburtstagsfeier unter Pandemiebedingungen durchführte. Geschichtsrevisionistische Vergleiche und die Selbststilisierung der Corona-Leugner*innen als Opfer gehören damit zur Tagesordnung.

Der Antisemitismus der Corona-Leugner*innen-Szene gefährdet den Kampf gegen das mitunter tödliche Virus. Die verschwörungsideologischen Thesen dienen dazu, das Vertrauen in die Medizin zu erschüttern. Auf den Kundgebungen der Corona-Leugner*innen wird auf Schutzmaßnahmen verzichtet, hinzu kommt, dass ihre Erählungen unwissenschaftlich, antiintellektuell und antisemitisch versuchen, die Welt zu erklären. Hass auf Minderheiten und Ausbrüche rechter Gewalt sind das Ergebnis.

Modernisierter Antisemitismus: Die QAnon-Ideologie
Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik
Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik. Foto: Peter Jülich

Die sogenannte QAnon-Ideologie ist eine junge Verschwörungserzählung, die sich inzwischen zu einer Bewegung mit weltweiter Anhänger*innenschaft entwickelt hat. Entstanden ist diese Bewegung im Jahr 2017 auf dem Image-Board „4chan“ durch kryptische Postings eines einzelnen Users („Q Clearance Point“ – das Q ist ein Code für die höchste Sicherheitsfreigabe in den USA), die auf ein Attentat Bezug nahmen, das ein Jahr vorher in Washington D.C. stattgefunden hatte („Pizzagate“). Die QAnon-Erzählung baut auf eine Vielzal bereits vorhandener Verschwörungserzählungen auf. Kern war zunächst vor allem die Behauptung eines planvoll agierenden sogenannten „tiefen Staats“ („deep state“), der Donald Trump stürzen wolle.

Mit Beginn der CoViD-19-Pandemie wurde die Verschwörungserzählung dann sukzessive erweitert: „Zwangsverchippung“, „Massenvernichtung“ und „Versklavung der Menschheit“ durch eine kleine, elitäre Gruppe sind nach und nach dazu gekommen.

Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik
Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik. Foto: Peter Jülich

Die These einer weltbeherrschenden elitären Gruppe wiederum zeigt, wie die QAnon-Ideologie an bereits existierende antisemitische Verschwörungserzählungen nahtlos andockt. Ob nun das „Finanzkapital“ oder die „New World Order“ (NWO), das Argument ist stets das Gleiche: Die Jüd*innen würden die Welt beherrschen und aus dem Hintergrund lenken. QAnon stellt so gesehen eine Wiederholung der Geschichte dar, eine Art Neuauflage der antisemitischen „Protokolle der Weisen von Zion“.

Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik
Ein Teilnehmer eines Corona-Leugner*innen-Protests mit QAnon-Symbolik. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Deutschland hat sich außerhalb des englischsprachigen Raums zum absoluten Hotspot für die QAnon-Ideologie entwickelt – eine Entwicklung, die sic mit Beginn der CoViD-19-Pandemie nochmals stark beschleunigt hat. Dabei hat sich die Kommunikation weg von den bisherigen, klassischen Social-Media-Kanälen hin zum Messengerdienst Telegram verlagert, die Abonnent*innenzahlen der Kanäle dort sind seitdem teils um mehrere hundert Prozent nach oben geschnellt. Besonders prominent verbreiten die QAnon-Ideologie auf Telegram im deutschprachigen Raum zwei Kanäle, von denen einer von Oliver Janich betrieben wird.  Auch diverse Prominente fallen immer wieder durch QAnon-Bezüge auf, so verbreiten beispielsweise Eva Herman, Xavier Naidoo oder Attila Hildmann entsprechende Inhalte über ihre eigenen Telegram-Kanäle. Die Bewegung hat sich so erfolgreich eine eigene Medienwelt erschaffen, zu der auch eine Vielzahl an Streams, vor allem beim Anbieter Bitchute, der als weniger zensierend als YouTube gilt, gehören.

Kennzeichen von Anhänger*innen der QAnon-Ideologie ist der Buchstabe Q, der immer wieder auf Kundgebungen von Corona-Leugner*innen zu sehen ist. Auch der Slogan „Where We Go One, We Go Alle“ („WWG1WGA“, „Wohin einer geht, gehen alle“) ist der QAnon-Ideologie zuzurechnen und fungiert dort als Zusammengehörigkeitsmantra. Seit der Niederlage Donald Trumps bei den US-Präsidentschaftswahlen wird auch vermehrt der Spruch „Trust the Plan“ verwendet.

Aufwendiges Transparent von QAnon-Anhänger*innen bei "Querdenken615" in Darmstadt
Aufwendiges Transparent von QAnon-Anhänger*innen bei „Querdenken615“ in Darmstadt. Deutlich zu erkennen ist das „White Rabbit“, ein Symbol der Szene, das in das aufgedruckte Q des linken Kapuzenpullovers eingefügt ist.
Reichsideologie bei den Corona-Leugner*innen
Reichsfahne auf einem "Hygiene-Spaziergang" von Corona-Leugner*innen
Auf einem unangemeldeten „Hygiene-Spaziergang“ durch die Frankfurter Innenstadt am 9. Mai 2020 wird eine Reichsfahne geschwenkt. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Als Reichsbürger*innen wird eine heterogene Gruppe von rechten Aktivist*innen und Strukturen bezeichnet, die davon ausgehen, ds Deutsche Reich würde weiter existieren. Die BRD sei ein Konstrukt der „Besatzungsmächte“ nach dem Zweiten Weltkrieg und besitze keine Legitimität, so die Ansicht der Reichsbürger*innen, weswegen ihre Existenz in der Szene geleugnet wird. Die Brd wird in dieser Ideologie als rein handelsrechtliches Gebilde gesehen und daher oftmals als „BRD GmbH“ bezeichnet. Je nach Gruppierung wird dabei auf das Deutsche Reich in unterschiedliche terrotorialer Ausdehnung Bezug genommen, zumeist vor Beginn des Zweiten Weltkriegs (1937). Damit schließt die Reichsideologie immer Geschichtsrevisionismus ein und bietet so neben der Verschwörungserzählung auch weitere Anknüpfungsmöglichkeiten zu anderen rechten Ideologien. Verbunden wird dies oftmals mit einem Hang zu Esoterik und Mystizismus oder einem völkischen Antikapitalismus. Dadurch bietet diese Ideologie viel Potential für Rechte, die aus der Gesellschaft „asusteigen“ wollen, da hier eine komplett eigene rechte Parallelwelt erschaffen wird.

Die Delegitimierungsstrategie gegenüber der BRD funktioniert dabei auf zwei Wegen: zum einen immanent über das Grundgesetz. Dieses wird nicht als Verfassung angesehen aufgrund des Artikels 146 – der die Einführung einer neuen Verfassung regelt –, zudem wird behauptet, es habe keine demokratische Legitimation, da es nie in einer Volksabstimmung anerkannt worden sei oder dass es mit der sogenannten Wiedervereinigung außer Kraft getreten sei – unter Verweis auf die räumliche Bestimmung in Artikel 23. Zum anderen wird die BRD über Fragen nach Friedensvertrag und Souveränität delegitimiert: Nach 1945 oder wahlweise 1918 habe es keinen Friedensvertrag gegeben (1945) oder dieser sei nicht ratifiziert worden (Versailler Vertrag), kapituliert hätte ohnehin nur die Wehrmacht, nicht das Reich selst. Beides mach Deutschland weterhin zu einem besetzten Staat, die BRD also zu jenem erwähnten bloßen handelsrechtlichen Konstrukt. All diese Argumentationsweisen basieren entweder auf Verkürzungen – ein Artikel macht kein ganzes Gesetzeswerk ungültig – oder dem gänzlichen Ignorieren internationaler Verträge, denn spätestens mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag von 1990 wäre sogar innerhalb dieser Logik die BRD souverän.

Auf deiser Basis haben sich Reichsideolog*innen eine eigene Welt innerhalb der Grenzen der BRD erschaffen. Die erste bekannte Organisierung dieser Art datiert auf die 1980er Jahre in der DDR zurück, seitdem haben sich eine Vielzahl neuer und konkurrierender Gruppierungen gegründet, sodass heute etwa 30 Organisationen existieren, die alle für sich reklamieren, legitimer Rechtsnachfolger des Deutschen Reichs zu sein. Dabei bieten sie auch verschiedene Dienstleistungen an, etwa das Ausstellen von Führerscheinen, den Verkauf von Briefmarken oder sogar Krankenversicherungen. Ebenso agitieren eine Vielzahl von Einzelpersonen nach diesem Muster, deren bekanntester Vertreter der Holocaustleugner Horst Mahler sein dürfte, in seinem Fall sogar mit einem offen positiven Bezug zur NS-Herrschaft.

In den letzten Jahren hat die Szene eine doppelläufige Entwicklung durchgemacht: Einerseits mehrere militante Auseinandersetzungen mit der Staatsmacht, die teils tödlich verlaufen wird. Andererseits lässt sich der Versuch identifizieren, die bisher erschaffene Parallelwelt der Szene auch räumlich manifest werden zu lassen, indem Konzepte völkischer SiedlerInnen adaptiert werden. Auch hier zeigt sich anschaulich, wie unterschiedliche Versatzstücke rechter Ideologien ineinander verwoben und neu zusammengesetzt werden. Letztendlich findet man bei bei Reichsbürger*innen alle Ideologeme, die zu einer rechten (Wahn-)Welt gehören: Rassismus, ➡ Antisemitismus, Nationalismus sowie Geschichts- und Gebietsrevisionismus.

Die Pandemie und das Edelmetall

Wer die Kundgebungen der Corona-Leugner*innen beobachtet, stellt schnell fest, dass ein Thema dort omnipräsent ist, das auf den ersten Blick so gar nichts mit der Pandemie zu tun haben scheint: die Frage nach Bargeld und Edelmetall. Immer wieder ist zu hören, das Bargeld werde abgeschafft, es sei nötig, in Edelmetall zu investieren, und ähnliches. Diejenigen, die auf Querdenken-Kundgebungen derartige Erzählungen verbrieten, profitieren nicht selten selbst vom Edelmetallhandel.

Thorsten Schulte
Thorsten Schulte auf der „Querdenken69“-Kundgebung im Grüneburgpark am 19. September 2020

Thorsten Schulte, ehemals bekannt als „Silberjunge“ und früher aktiv bei der bürger*inneninitiative Pro Bargeld, die zuletzt im Herbst 2016 mit Rednern der AfD-Abspaltung ALFA mehrere Kundgebungen in Frankfurt durchführte, redete am 19. September 2020 auf der Querdenken69-Kundgebung im Grüneburgpark. Schulte verflocht in seinem über 40-minütigen Redebeitrag eine diffuse Elitenkritik mit zielgenau eingesetzten Stichworten, die offenbar dazu dienen sollten, verschiedene rechte Spektren anzupsrechen. So verwies er in seiner Rede mehrfach auf das angebliche Fehlen eines Friedensvertrags nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs – ein Schlüsselthema der ➡ Reichsbürgerideologie. Er beklagte zudem, dass man es in der BRD mit einer „fremdbestimmten politischen Führung zu tun“ habe und führte daher „als ein Beispiel von vielen“ den einstigen Außenminister Guido Westerwelle an, der schließlich in Israel vom Mossad unter Druck gesetzt worde sei. Der Subtext dieser Aussage, den er den Zuhörenden vermittelt, ist: Die deutsche Außenpolitik würde von Israel (mit-)bestimmt – ein klarer Verweis auf die rechte Ideologie einer angeblichen jüdischen Weltverschwörng. Passend, dass Schulte bei einer Kommunalwahl in 2015 auch bereits für die AfD kandidierte, ohne jedoch Parteimitglied zu sein.

Bei Schulte bleibt es oft bei Andeutungen, beim Geraune. Doch dahinter steckt System: Schulte präsentiert sich als „Wissender“ und wendet sich an die „Wissenden“. Er reißt ein Thema an, präsentiert dazu eine „Wahrheit“, die ohnehin schon alle zu wissen glauben und wendet sich dann flugs dem nächsten Thema und der nächsten Wahrheit zu. Schulte ist gern gesehener Referent unter anderem bei der Akademischen Erasmus-Stiftung, die im Sommer 2017 von Mitgliedern der extrem rechten AfD-Landesverbänden Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen gegründet worden war.

Es ist schwer nachzuvollziehen, ob Schulte das alles glaubt, was er andeutet und anreißt. Er ist rhetorisch außerordentlich geschult, redet ohne Manuskript, weiß seine Gestik einzusetzen und die Emotionen seines Publikums zu lenken. Und er ist frei von jeden Skrupeln. Der ehemalige Investment-Banker ist Edelmetall-Händler und schwört die Zuhördenden auf Geldanlage in Silber ein. Am 18. November 2020 verschafft er sich in Begleitung anderer extremer rechte, darunter der YouTuber Eliyah Tee und die rechte Aktivistin Rebecca Sommer, mit Hilfe der AfD-Bundestagsabgeordneten Hansjörg Müller und Udo Hemmelgarn am Rande einer bundesweiten Demonstration von Corona-Leugner*innen Zugang zum Bundestag. Zuvor hatte er in seinem Telegram-Kanal angekündigt, sich an dem Tag gegen „Merkel-Speichellekcer“ einzusetzen. Und tatsächlich bedrängen die von der AfD Eingeschleusten verschiedene Abgeordnete und beschimpfen diese.  Bereits zuvor hatte Schulte behauptet, der Sturm von Rechtsradikalen auf das Reichstagsgebäude im Rahmen der Corona-Leugner*innen-Proteste am 29. August 2020 in Berlin sei von V-Leuten, also verdeckten Mitarbeiter*innen des Verfassungsschutzes, ausgelöst worden.

Schulte ist nicht nur Silberhändler, sondern verdingt sich auch als Autor von Büchern mit so reißerischen Titeln wie „Kontrollverlust“ (2017) oder „Fremdbestimmt“ (2019). Mit dem eigenen Verlag für Frieden, Freiheit und Wahrheit GmbH scheint dies ein lukratives Geschäftsmodell zu sein, das von Schulte äußerst aktiv betrieben wird: Auf seinem Infotisch am 19. September im Grüneburgpark hat eine Gehilftin schon zu Anfang der Kundgebung in froher Hoffnung knapp 50 Bücher aufgestapelt. Schulte sorgte auf der Bühne mit dem Geraune über den Mossad und den fehlenden Friedensvertrag dafür, dass noch ein paar Antisemit*innen und Reichsbürger*innen mehr sein neuestes Buch „Fremdbestimmt“ kaufen werden. Die Angst, der unweigerliche Zusammenbruch, die kommende Apokalypse stünde bevor, die nur die „Wissenden“, die seine Bücher gelesen haben, überstehen werden, ist sein schäbiges Geschäftsmodell.

Der Auftritt von Schulte am 19. September in Frankfurt ist auch deshalb bemerkenswert, da er nur wenige Woche zuvor vom Querdenken-Gründer Michael Ballweg ein Redeverbot für alle Querdenken-Veranstaltungen erhalten hatte, von dem er aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erfahren hatte. Doch wer sich im Widerstand wähnt, ist wohl bereit, für die Einigkeit der Szene (und für den zu erwartenden Umsatz), Spaltungstendenzen und Groll schnell hintanzustellen: Schulte tritt auch in der Folge immer wieder bei Querdenken-Kundgebungen auf.

Der Silberhändler Schulte liegt durchaus im Trend der extremen Rechten: Die Rückbesinnung auf „wahre Werte“ und nationale Identität drückt isch auch in einer Sehnsucht nach Bargeld und Edelmetall aus. Auch die AfD handelte schon mit Gold, um ihr Spendenaufkommen zu erhöhen, das sie bei der staatlichen Parteienfinanzierng geltend machen kann. Organisator des AfD-Goldhandels war damals die Degussa Sonne/Mond Goldhandel GmbH mit Sitz im Frankfurter Kettenhofweg. Die Degussa Goldhandel befindet sich im Privatbesitz von August von Finck junior, dessen Vermögen größtenteils aus dem Erbe seines Vaters, des Arisierungsprofiteurs August von Finck senior stammt. Der Milliardär Finck tritt seit Jahrzehnten als Großsponsor rechtspopulistischer und nationalneoliberaler Organisationen auf. So finanzierte er Ende der 1990er Jahre den Bund freier Bürger (BFB), unterstützte mit einem Tarnverein namens Verein zur Erhaltung der Rechtsstaatlichkeit und bürgerlichen Freiheiten die AfD und finanziert mehrere rechtslibertäre Think Tanks, darunter die Atlas Initiative mit Sitz in Frankfurt.

Finck gilt als zentraler Förderer des geselschaftlichen Rechtsrucks. So unterstützte er etwa den von 2003 bis 2015 aktiven BürgerKonvent e.V., dem Vera Lengsfeld und Beatrix von Storch angehörten und der von Ultraneoliberalen wie dem Unternehmensberater Roland Berger oder dem FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff unterstützt wurde. Mit professioneller Kampagnenpolitik und Millionen-Förderung durch Finck versuchte der Verein, neoliberale Ziele wie den Abbau von Sozialleistungen populär zu machen. Dieselben Themen wurden schließlich in der 2013 neu gegründeten Partei AfD verhandelt, sodass der Verein 215 obsolet und aufgelöst wurde. Fincks Millionen halfen also auch beim Aufbau der AfD.

Auch die Frankfurter Atlas Initiative schlägt in dieselbe Kerbe: Innerhalb der Corona-Leugner*innen-Szene dient sie dazu, die Ablehnung sozialstaatlicher Maßnahmen in der Corona-Krise und darüber hinaus ideologisch auszuformen und formaljuristisch zu unterfüttern. Die Atlas Initiative veröffentlicht Videos, in denen etwa der Jura-Honorarprofessor Hanns-Christian Salger (Institute for Law and Finance an der Goethe-Universität Frankfurt) erklärt, Kontaktbeschränkungen seien rechtswidrig. Die Atlas Initiative gibt inzwischen ihre Kontaktadresse in Salgers Kanzlei an der Eschenheimer Anlage an. Auch der Vorsitzende der Atlas Initiative, Markus Krall, poltert auf Twitter heftig gegen jede Einschränkung des öffentlichen Lebens für die Pandemiebekämpfung, warnt vor angeblich geplanten „Zwangsimpfungen“, spricht von „Wahlbetrug“ und ist fanatischer Trump-Fan. Krall arbeitet engagiert am Aufbau der Atlas Initiative als national-neoliberalem Think Tank; hauptberuflich ist er jedoch Sprecher der Geschäftsführung der Degussa Goldhandel GmbH. Offenbar wurde er von Finck eingestellt, um ein solches Think Tank aufzubauen. Ähnlich gruppiert sich um die Degussa Goldhandel GmbH auch noch eine weitere national-neoliberale Denkfabrik: das Ludwig von Mises Institut Deutschland, dessen Vorsitzender Thorsten Polleit ebenfalls für die Degussa Goldhandel arbeitet.

Zu erkennen ist, wie sich die unterschiedlichen Gruppen kennenlernen, Gemeinsamkeiten entdecken und sich zunehmend aufeinander beziehn. Der Querdenken69-Organisator Joël Roux zum Beispiel hat auf seiner Facebook-Seite im Sommer 2020 lediglich acht Gefällt-mir-Angaben gesetzt: zu zwei verschwörungsideologischen Aktivisten, zu einer evangelikalen Erweckungs-Kirche – und zur Atlas Initiative. Angesichts des in der Öffentlichkeit eher niedrigen Bekanntheitsgrads der Atlas Initiative durchaus bemerkenswert.

5G: Die Verschwörung vom schnellen Internet
"Stop 5G"-Aluhut bei einem Protest von Corona-Leugner*innen in Frankfurt
Eine Teilnehmerin trägt einen „Stop 5G“-Aluhut bei einem Protest von Corona-Leugner*innen in Frankfurt

Verschiedene Anti-5G-Initiativen wenden sich gegen den flächendeckenden Ausbau des Mobilfunknetzes für den Datenübertragungsstandard der fünften Generation (5G). Eine Kritik daran ist vielfach nachvollziehbar und darf nicht pauschal als rechts diskreditiert werden: zum Beispiel die Sorge um gesundheitliche Beeinträchtigung durch Funkstrahlen oder um wachsende Möglichkeiten der Überwachung von Menschen, da im 5G-Netz deutlich größere Datenmengen übertragen werden können.

Doch der Weg zu rechtsaffinen Verschwörungsmythen ist kurz. So vertritt beispielsweise Gundolf Hambrock, Sprecher der Gruppe Widerstand 4.0 in seinen Redebeiträgen die Ansicht, dass über die Corona-Impfungen die Menschen „gechippt“ werden sollen. Damit meint er, mit der Impfung würden Nano-Chips implantiert, die eine Komplettüberwachung und -steuerung des Menschen ermöglichen würden. Schuld daran sei freilich der Microsoft-Gründer Bill Gates, auf dessen angebliche Weltbeherrschungspläne in nahezu allen Reden der 5G- und Corona-Rebellen an der Alten Oper ausführlich eingegangen wird. Auch bei den Kundgebungen von Querdenken69 im Grüneburgpark am 19. September 2020 oder auf dem Goetheplatz am 24. Oktober 2020 bauen Anti-5G-Initiativen ihren Infotisch auf. Ihr Logo, das im Stile eines Verbotsschildes durchgestrichene „5G“, findet sich als Button oder Aufkleber auf der Kleidung vieler Teilnehmender der Corona-Leugner*innen-Proteste. Diese Vermischung zeigt symbolisch, welche großen Überschneidungen sich zwischen Anti-5G-Protestierenden und Corona-Leugner*innen in Frankfurt aufdecken lassen.

Auch mobilisierten die hiesigen Anti-5G-Initiativen zu den beiden Großdemonstrationen der Pandemie-Leugner*innen im August 2020 in Berlin. Der dort stattfindende Schulterschluss mit Neonazis, ➡ Reichsbürger*innen und Anhänger*innen des antisemitischen ➡ QAnon-Verschwörungsmythos war für sie offenkundig kein Problem. Die Anknüpfungspunkte waren ideologisch nahezu beliebig gewählt: Mal heißt es, die Pandemie sei inszeniert, um den laufenden 5G-ausbau zu vertuschen; mal wird erzählt, die CoViD-19-Symptome seien in Wahrheit sogar selbst auf die 5G-Strahlung zurückzuführen. So bietet das Thema 5G eine weitere Möglichkeit, eine simple Begründung für eine komplexe Situation heranzuziehen – und auch hier sind es die geheimen Mächte im Hintergrund, die angeblich Ursprung der Inszenierung sind.

Esoterik, Wissenschaftsfeindlichkeit und alternative Heilsversprechen

Oft findet sich auf sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ von Corona-Leugner*innen in Bezug auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse rund um SARS-CoV-2, CoViD-19, Impfstoffentwicklung und Impfung eine Leugnung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse. Diese werden als „Vorwände“ bezeichnet, die zum Ziel hätten, antidemokratische Gesetzesänderungen durchzusetzen und Menschen zu kontrollieren. Außerdem würden durch die „Corona-Zwangsimpfung“ Chips zur Kontrolle der Menschheit implantiert.

Diese Wissenschaftsleugnung hat, vor allem im medizinischen Bereich, eine lange Tradition. Die Ablehnung der wissenschaftlich orientierten Medizin ist eng verknüpft mit ➡ antisemitischem Gedankengut und Verschwörungsideologien. In der NS-Herrschaft wurde versucht, die „verjudete Schulmedizin“ durch „gesunde Volksmedizin“ zu ersetzen. Besonders vorangetrieben wurden von den Nazis Homöopathie und das Heilpraktikerwesen. Homöopathen genossen staatliche Unterstützung, etwa durch die Eröffnung des homöopathischen Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart im Jahr 1940.

Ein jüngeres Beispiel ist Ryke Geerd Hamer, Erfinder der „Germanischen Neuen Medizin“. Er vertrat die Annahme, die meisten Onkolog*innen in Deutschland seien Jüd*innen und „in Deutschland kriegt kein Jude Chemo[therapie]“. Außerdem würden durch die Kanülen bei der Chemotherapie „Chips“ eingepflanzt, die mit „Giftkammern“ versehen seien, die per Satellit ausgelöst werden können, um Patient*innen gezielt zu töten. So absurd diese Erzählung auch klingen mag: Das Geraune vom „Chippen“ steht auch auf Demonstrationen der Corona-Leugner*innen von Querdenken hoch im Kurs – am 22. November 2020 vertrat eine Rednerin auf einer Kundgebung von Querdenken671 in Bad Kreuznach sogar offen die Lehre der „Germanischen Neuen Medizin“. Dieselbe Rednerin hatte zuvor auch am 5. November bei Querdenken69 in Frankfurt gesprochen.

Die Leugnung wissenschaftlicher Standards und Forschungsergebnisse verhindert eine kritische Auseinandersetzung und reduziert komplexe naturwissenschaftliche, beispielsweise medizinische, Zusammenhänge auf eine reine Glaubensfrage. Statt einen Umgang mit Unsicherheiten und Kontroversen zu finden werden verinfachte Weltanschauungen unter dem Deckmantel der Medizin verbreitet – mit Feindbildern, Sündenböcken und einer Einteilung in Gut und Böse.Rehcte und Verschwörungsideolog*innen nutzen dies, um ihre teils volksverhetzenden Ideologien zu lancieren, persönliche Hetze gegen Virolog*innen inklusive.

Dennis Haberschuss bei einer Corona-Leugner*innen-Demo in Berlin
Dennis Haberschuss (in Anglerweste) bei einer Corona-Leugner*innen-Demo in Berlin. Foto: Kim Winkler, Hervorhebung: netzpolitik.org

Nicht selten fallen Wissenschaftsfeindlichkeit, Esoterik und alternative Heilsversprechen mit einer umtriebigen Geschäftstätigkeit zusammen. So im Falle von Dennis Haberschuss aus Bad König im Odenwald. Haberschuss vertreibt mit seinen Firmen Arthotherm Medizintechnik Ltd. und Novum Sanitas UG pseudo-medizinische Produkte mit blumigen Namen wie „Lebensfeldstabilisator“ gemeinsam mit dem Ehepaar Ingo und Gergana Giesler. Haberschuss sympathisiert zudem mit der ➡ Reichsbürgerbewegung und organisiert über ein belgisches Konto mit der in den Niederlanden ansässigen Briefkastenfirma Medical Research Systems in großem Stil Spendengelder für die zwielichtige Initiative „Das Volk gegen Corona“, die die „größte Klage in der deutschen Geschichte“ vorzubereiten behauptet. Was genau mit den Geldern passiert, bleibt dabei unklar.

Organisierte Rechte und die Pandemie-Leugner*innen

Von Anfang an scheinen die Inhalte der Corona-Leugner*innen in Frankfurt recht beliebig: Impfgegner*innen, Pandemie-Leugner*innen, QAnon-Anhänger*innen, knallharte Antisemit*innen und viele mehr – hier kann jede*r die persönliche Verschwörungspräferenz einbringen und mit anderen Mythen zu einer umfassenden Verschwörungserzählung zusammenfügen, in der alles aufeinander aufbaut, alles einander bedingt und aus der jede*r herauslesen und heraushören kann, was beliebt.

Genauso bunt ist auch das Spektrum derer, die sich auf den Kundgebungen sammeln: Ein paar Altlinke Posthippies und Esoteriker*innen, wildgewordene Kleinbürger*innen, gottesfürchtige Evangelikale, unter die sich am 9. Mai sowie auch bei späteren Großevents auch Grüppchen von krawallsuchenden Hooligans, Rockern und Rotlichtfiguren, deren „Geschäfte“ unter den Einschränkungen durch die Corona-Maßnahmen massiv leiden, mischen.

Carsten Härle (AfD) am 9. Mai 2020
Carsten Härle, extrem rechter AfDler aus Heusenstamm, auf einem „Spaziergang“ von Corona-Leugner*innen am 9. Mai 2020 in der Frankfurter Innenstadt

Nicht nur bei letztgenannten präsentiert sich der Typus männlicher Welterklärer, die sowieso alles wissen und keinen Widerspruch ertragen. Deren „Auseinandersetzung“ mit allen, die gegen die Pandemie-Leugner*innen protestieren, besteht bei ihrem Auftritt aus Gewaltdrohungen und allen nur erdenklichen Beleidigungen. Die organisierten Rechten sind in diesem Kaleidoskop nur ein Randgeschehen, treten dennoch aber bewusst auf. So etwa AfD-Mitglieder wie Carsten Härle, am 9. Mai 2020 auf dem „Hygiene-Spaziergang“ mit Anonymous-Maske unterwegs, oder Michael Beyerbach (AfD Hochtaunuskreis), der in Chatgruppen zeitweise überaus aktiv ist. Doch mit der Zeit bleiben die erkennbaren AfD-Mitglieder zunehmend weg.

Transparent "Heimatschutz statt Mundschutz" am 30.05.2020 vor der Alten Oper
Die „Junge Bewegung Hessen“, angeführt von Felix Straubinger (2. v. l.), entrollt am 30. Mai 2020 kurzzeitig das Transparent „Heimatschutz statt Mundschutz“ auf dem Opernplatz. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Eine Gruppe von Neonazis taucht am 30. Mai für wenige Minuten für ein Fotoshooting auf der Kundgebung vor der Alten Oper auf, präsentiert ein Transparent mit der Aufschrift „Heimatschutz statt Mundschutz“ und trollt sich unmittelbar danach wieder. Ein Banner mit gleichem Inhalt war wenige Tage zuvor in Wien zu sehen gewesen und kann dem Umfeld der Identitären zugerechnet werden. Vor der Alten Oper wird es unter anderem von Felix Straubinger aus Neu-Isenburg-Zeppelinheim gehalten, der zu dieser Zeit versucht, die Aktionen der kaum noch aktiven Identitären Bewegung unter dem Label Junge Bewegung Hessen zu kopieren.

Außer einem Fotoshooting, ein paar Klebeaktionen und einer Internetseite ist die Junge Bewegung Hessen im Frankfurter Raum allerdings nicht in Erscheinung getreten und Straubinger ist nach einem antifaschistischen Hausbesuch am 12. Juni 2020 auch nicht mehr durch Aktionen aufgefallen.

AfD-nahe Kundgebung am 6.6.2020 auf dem Frankfurter Roßmarkt
Von Zahid Khan organisierte Kundgebung mit AfD-Abgeordneten auf dem Roßmarkt am 6. Juni 2020. Foto: Protestfotografie Frankfurt

Am 6. Juni 2020 organisiert der selbsternannte „Prophet“ Zahid Khan eine Kundgebung unter dem Motto „Corona und der Einschnitt in unsere Grundrechte“ auf dem Roßmarkt. Dort sprechen neben seiner Tochter Mary (Junge Alternative Hessen) die AfD-Abgeordneten Thomas Seitz, Birgit Bessin und Corinna Herold, die sämtlich dem extrem rechten Rand der AfD, insbesondere dem formal aufgelösten völkischen Flügel zuzuordnen sind. Die Kundgebung war umfassend mit Flyern im AfD-Design beworben worden, ohne dass diese das Parteilogo enthielten. Auf der Kundgebung fanden sich schließlich nur knapp 20 Personen ein. Durch antifaschistischen Gegenprotest wurde jede Außenwirkung der Kundgebung verunmöglicht.

Der Neonazi Hartmut Issmer spricht am 5.11.2020 bei "Querdenken69".
Hartmut Issmer („Patrioten für Deutschland“) redet auf einer „Querdenken69“-Kundgebung am 5. November 2020 am Börneplatz.

Auf einer Kundgebung von Querdenken69 mit dem Motto „Wir kochen vor Wut!“ am 5. November 2020 spricht der rechte Hetzer Hartmut Issmer, Teil der AfD-nahen Ein-Mann-Gruppierung Patrioten für Deutschland. Der Hochbauingenieur Issmer, der in Erlensee bei Hanau wohnt, sprach zuvor bereits auf AfD-Demos und veranstaltete zuletzt am 20. Oktober 2018 eine Kundgebung auf dem Frankfurter Opernplatz. Für seine Rede auf der Querdenken-Kundgebung, in der er das „deutsche Volk“ beschwört, wird er von Malin Singh aus dem Querdenken69-Orgateam beklatscht und bejubelt. Auch die rechten Ausschreitungen in Leipzig am 7. November 2020 verdeutlichen, dass extrem rechte Gruppierungen die Proteste der Corona-Leugner*innen immer wieder für ihre eigenen Mobilisierungen nutzen, was bei ersteren durchaus auf Offenheit stößt. In Leipzig greifen Nazi-Hools schließlich gemeinsam mit „querdenkenden“ Kleinbürger*innen auch Gegendemonstrant*innen und Journalist*innen an. Im Nachhinein wird dann in den Telegram-Chats kolportiert, es habe sich um staatlich bezhalte Provokateur*innen gehandelt.

Heiko Scholz (AfD)
Der hessische AfD-Landtagsabgeordnete Heiko Scholz bei einer Corona-Leugner*innen-Demo in Berlin.

Bei den bundesweiten Großevents der Szene zeigen AfD-Politiker inzwischen durchaus Präsenz: Der hessische AfD-Landtagsabgeordnete Heiko Scholz aus Eppstein ist am 18. November 2020 in Berlin und erklärt am Rande der dortigen Corona-Leugner*innen-Proteste, das Tragen einer Maske sei individuelle Entscheidung. Die AfD versucht seit Sommer 2020, zum Corona-Leugner*innen-Milieu Anschluss zu finden, nachdem sie im Frühjahr zunächst vehement für einen schnellen Lockdown und Kontaktbeschränkungen eingetreten war. Neben inhaltlichen Gemeinsamkeiten ist es dabei auch die Angt, hier ein reaktionäres Protestmilieu zu vergraulen, die hier für ein Umdenken sorgte. Führende AfD-Rechtsaußen wie Björn Höcke sympathisieren inzwischen offen mit den Corona-Leugner*innen, während Parteichef Meuthen auf dem Bundesparteitag im November 2020 vor zu großer Nähe zu diesem Milieu warnt. Doch sein Warnen bleibt erfolglos, die AfD stellt sich bundesweit im Jahr 2021 mit Forderungen auf, die aus dem Repertoire der Corona-Leugner*innen kommen. Immerhin stehen Bundestagswahlen an.

Fazit

Was also tun gegen die rechtsoffene Mischszene der Corona-Leugner*innen, die sich auch im Rhein-Main-Raum immer mehr vernetzt und professionalisiert? In den vergangenen Monaten wurden unterschiedliche Portestformen erprobt, die das Treiben der Szene nur bedingt einschränken konnten: Pandemie-Leugner*innen, Esoteriker*innen und Antisemit*innen gehen nach wie vor fast wöchentlich auf die Straße, auch wenn ihre Mobilisierungskraft bei weitem nicht die Zahlen des Sommers erreicht und eher stagniert. Zu regelmäßigen Aktionen wie am Uhrtürmchen in Bornheim sammeln sich oft kaum mehr als zwei Dutzend Menschen, spontane Aktionen, wie versuchte Proteste gegen Sperrstunden oder gegen neuerliche Kontaktbeschränkungen im November, schlugen weitgehend fehl. Auch Verbote, wie am 12. Dezember 2020, schrecken potenziell Teilnehmende ab, sodass nur knapp 300 Corona-Leugner*innen in der Stadt waren.

Am 14. November wollte Querdenken69 erstmals eine Demonstration durch die Frankfurter Innenstadt durchführen. Die Route wurde durch das Ordnungsamt verkürzt und verlegt, schließlich waren es aber die Blockaden engagierter Antifaschist*innen, die die Demonstration zum Abbruch zwangen. An diese Erfahrung gilt es anzuknüpfen, um reaktionären Ideologien keinen Raum zu geben.

Mit diesem Text konnten wir ausschnitthaft einige Schlaglichter auf das Milieu der Frankfurter Corona-Leugner*innen werfen. Aus unserer Sicht ist im Umgang mit dieser rechtsoffenen Mischszene eine detaillierte und differenzierte Analyse nötig. Es ist verküzt, alle als extrem rechts abzustempeln, die auf Großevents wie jenen von Querdenken69 im Sommer auftauchen. Spätestens zum Jahreswechsel 2020/21 sollte jedoch allen klar sein, wofür das Milieu der Corona-Leugner*innen stehen.

Angesichts dessen, dass auch immer wieder Menschen mit einem linken Selbstverständnis die Kundgebungen der Pandemie-Leugner*innen besuchen, müssen wir überprüfen, wo linke Ideen ein regressives Potential entfalen können. Wissenschaftsfeindlichkeit, die sich aus esoterik und Naturalismus begründet, ist ebene nicht besser als solche, die von einem rechten Antiintellektualismus motiviert ist – das Ergebnis ist immer ein Abgleiten in Pseudowissenschaft und Faktenresistenz. Wir müssen das reaktionäre Potential von Esoterik ebenso ernst nehmen wie narzisstische Motviationen, die bewusste Absage an Solidarität, die manche zu Querdenken treibt. Wir müssen auch die kommerziellen Interessen analysieren, die besorgte Gewerbetreibene, skrupellose Geschäftemacher*innen bis hinzu Personen aus dem sogenannten Rotlicht-Milieu zu „Corona Rebellen“ werden lässt und im Protest zusammenführt.

Mit Blick auf die antifaschistische Strategie zeigt sich: Die Szene darf weder über- noch unterschätzt werden. Grundsätzlich muss der verschwörungsideologischen Szene allerdings mehr entgegengesetzt werden als bloßer Protest. Es ist nötig, linke Perspektiven zur Corona-Krise selbstbewusst auf die Straße zu tragen. Es ist Aufgabe der linken Bewegung, die Verschärfung von sozialen und wirtschaftlichen Widersprüchen im Zuge der CoViD-19-Maßnahmen zu kritisieren ohne dabei Raum für Verschwörungsideologien zu lassen. Auch die noch ausstehende Wirtschaftskrise wird die Dringlichkeit dessen befeuern.