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Wer sind die Corona-Rechten?

Ein Diskussionsbeitrag zur Analyse der verschwörungsideologischen Rechten

Wir bezeichnen das Milieu, das im Rahmen von Protesten gegen Corona-Maßnahmen auf die Straße geht, inzwischen als Corona-Rechte. Diese Bezeichnung versucht zu greifen, das sich in Bezugnahme auf die CoViD-19-Pandemie eine heterogene Bewegung formiert hat, die durch rechte und reaktionäre Inhalte geeint ist. Am auffälligsten ist dabei sicherlich der explizite oder implizite Einfluss von Verschwörungsideologien, deren Kern nicht selten ein antisemitisches Weltbild ist .

Die weithin genutzte Bezeichnung Querdenken für die Gesamtheit des Milieus verwenden wir nicht. Das hat mehrere Gründe: Es handelt sich erstens um eine Selbstbezeichnung, die wir nicht reproduzieren möchten. Mit ihr wird der Anschein erweckt, es handele sich bei den Demonstrierenden und Aktivist*innen um Nonkonformist*innen und Libertäre, die sich für Meinungsfreiheit einsetzen. Tatsächlich halten wir den Begriff der konformistischen Rebellion für weite Teile der Corona-Rechten für passend. Zudem ist Querdenken ein Markenname eines bestimmten Spektrums der Corona-Rechten, das von Stuttgart aus einen Zentralismus mit teilselbstständigen Filialen in ganz Deutschland aufbaute und zeitweise das dominante Label für Pandemieleugner*innen und Impfverweigererer*innen in Deutschland war. Es hat inzwischen aber deutlich an Einfluss verloren. In Hessen bezieht sich nur noch die Darmstädter Gruppierung Querdenken615 auf das Label, die Marburger Gruppierung Weiterdenken kann als Abspaltung eingestuft werden. Zwar existieren in anderen Städten, so auch in Frankfurt, weiterhin Chatgruppen, die sich auf das Querdenken-Label beziehen, organisatorisch und aktivistisch haben diese aber kaum noch Bedeutung.

Von Corona-Leugner*innen zur Corona-Rechten

In unserer Broschüre, veröffentlicht in zwei Auflagen im November und Dezember 2020, haben wir das Spektrum unter dem Begriff „Corona-Leugner*innen“ zu fassen versucht. Dieser Begriff trifft inzwischen aber nicht mehr den Kern dessen, was wir auf der Straße und in den einschlägigen Chatgruppen beobachten können: Die absolute Leugnung der Existenz einer Pandemie oder des Virus, oft verschwörungsideologisch unterfüttert, ist inzwischen eine Minderheitenposition. Die wissenschaftsfeindliche Haltung, die noch vor einem Jahr oft Leugnung der Pandemie begründete, führt in diesem Jahr eher zu Impfverweigerung. Erneut spielen dabei Verschwörungsideologien eine große Rolle. Man mag diese Verschiebung für bloße Nuancen halten, im Sinne einer analytischen Genauigkeit verzichten wir aber auf den Begriff „Corona-Leugnung“, um das Spektrum in Gänze zu beschreiben, und verwenden ihn nur, wenn tatsächlich die Existenz der Pandemie bestritten wird.

Wir glauben , dass für die Kategorisierung des gesamten Milieus als „rechts“ inzwischen genug Belege vorliegen und sprechen daher von der Corona-Rechten. Hier werden verschiedene Weltanschauungen und Positionen auf die Straße getragen, die eindeutig rechts sind: Dazu zählen biologistische und sozialdarwinistische Einstellungen, Gesellschaftsfeindlichkeit, Wissenschaftsfeindlichkeit, zudem Antisemitismus und die Relativierung von Holocaust und Völkermord. Letzteres kommt unter anderem darüber zum Ausdruck, dass sich Teilnehmende der Aufzüge in infamer Weise mit Opfern des Holocaust gleichsetzen. Das Tragen gelber Judensterne mit Aufschrift „ungeimpft“ wird mittlerweile vielerorts polizeilich unterbunden und strafrechtlich verfolgt, häufig sind hingegen Äußerungen zu vernehmen, die Impfkampagnen als (geplanten) Genozid benennen oder Impfstoffe als „Zyklon C“ (für Covid). Die in diesem Milieu geläufige Vorstellung, Pandemien seien Teil eines natürlichen Kreislaufes, in den der Mensch nicht eingreifen dürfe, und die Kranken und Schwachen nun mal von Zeit zu Zeit aussortiert würden, kann nicht als Leugnung, nicht einmal unbedingt als Verharmlosung der CoViD-19-Pandemie gelten. Sie ist aber ein sozialdarwinistischer, menschenfeindlicher Biologismus und offen für Ideen der Eugenik.

Verbreitet ist zudem die Ansicht, dass der Mensch der Pandemie trotzen könne durch „natürliche“ Lebensweise, „natürliche“ Ernährung und angeblich „natürliche“ Heilmethoden und dass deshalb keine einschränkenden Maßnahmen notwendig seien. Dies ist nicht nur wissenschaftsfeindlich. Es ist die Überheblichkeit und der Egozentrismus derer, die sich Rundumversorgung durch Bioläden, Health-Coaching, Reiki-Seminare und sonstige Heilsversprechen leisten können. Auch derartiger Klassismus muss als rechts verstanden werden, wenngleich er häufig von Personen eines „alternativ“ erscheinenden Milieu verbreitet wird.

Und die Nazis?

In den Chatgruppen der Corona-Rechten können inzwischen alle möglichen rechten Themen – etwa Migration, Leugnung der Klimakatastrophe, verschiedenste Verschwörungserzählungen, offensiver Wahlkampf für die AfD – ungehindert und unwidersprochen verbreitet werden. Ähnliches lässt sich auf den Demonstrationen beobachten. Insofern halten wir es für zweitrangig, dass die meisten der Teilnehmer*innen von Demonstrationen der Corona-Rechten sich gar nicht als rechts, sondern bisweilen sogar als links verstehen.

Dass bekannte extrem rechte Gesichter und (teils organisierte) Neonazis auf den Demonstrationen der Corona-Rechten ungestört mitlaufen dürfen, sich bisweilen sogar an die Spitze setzen können, ist ein weiteres Indiz dafür, dass die Szene inzwischen nicht mehr bloß als „rechtsoffen“ eingestuft werden muss.

In einzelnen Regionen sind Neonazis die dominierenden Kräfte auf diesen Demonstrationen und im Rhein-Main-Gebiet dürfen sie zumindest ungehindert mitmachen. Am 27. November 2021 war es eine Gruppe von Mitgliedern der Identitären Bewegung, die sich mit ihrem Transparent „Heimatschutz statt Mundschutz“ zentral positionieren durfte, am 4. Dezember in Frankfurt stellten sich Neonazis der Partei Der III. Weg mit eigenen Schildern auf und attackierten aus dem Schutz der Masse Journalist*innen. Am 31. Dezember 2021 nahm zum wiederholten Male ungestört eine Gruppe von Neonazis auf einer Demonstration in Aschaffenburg teil, zu der das Netzwerk Rhein-Main steht auf mobilisiert hatte. Sie zeigten ein großes Transparent mit Aufschrift „Kontrolliert die Grenzen, nicht euer Volk“. Der Aufzug am 1. Januar 2022 in der Frankfurter Innenstadt wiederum wurde von einer Person in QAnon-Kleidung angeführt.

Die Anwesenheit von Neonazis, QAnon-Anhänger*innen und Antisemit*innen aller Spektren auf den einschlägigen Demonstrationen ist für uns dabei weniger Auslöser für die rechte Radikalisierung der Szene, sondern deren logische Konsequenz. Zugleich gilt zumindest für die hessische Szene, die wir beobachten, dass organisierte extreme Rechte oder Personen mit einem entsprechenden Hintergrund eher selten organisierende Funktionen wahrnehmen. Die NeofaschistInnen, etwa Der III. Weg, die NPD oder die Identitäre Bewegung, die sich auf den entsprechenden Demonstration zeigen, haben offenbar ein eher funktionales Verhältnis zu der Protestszene, halten dort ihre Parteibanner hoch und nutzen diese vor allem zur Selbstinszenierung – eine Inszenierung, der auch Gegner*innen von Corona-Rechten bisweilen auf den Leim gehen, wenn sie die entstehenden Bilder weiter verbreiten.

Im Rhein-Main-Gebiet können wir beobachten, dass es weniger bekannte Nazis sind, die mit besonders radikalen Positionen, NS-relativierenden Reden oder ähnlichem auffallen, sondern Personen aus der vermeintlichen „Mitte“ der Gesellschaft, die antifaschistischen Recherchestrukturen zuvor unbekannt waren.

Die Gefahr von Verschwörungsmythen liegt auch darin, dass sie häufig Treibstoff einer rasant verlaufenden rechten Ideologisierung und Radikalisierung sind. Wer eine Verschwörungserzählung verinnerlicht hat, ist in der Regel bereit, weitere aufzunehmen und daraus eine große Weltverschwörung zu konstruieren. Einige Personen, dieanfangs der „Corona-Proteste“ zu erkennen glaubten, dass Bill Gates und George Soros die Pandemie erzeugt oder erfunden hätten, traten wenige Monate später als „Reichsbürger“, QAnon-AnhängerInnen oder SympathisantInnen der antisemitischen Anastasia-Sekte in Erscheinung.

Die Personen, die nun im Sog der Corona-Rechten ihre „Erweckung“ erleben, werden uns noch beschäftigen, wenn die Pandemie zu Ende gehen und die Bewegung der Corona-Rechten zerfallen wird. Denn in der Zukunft wird es weitere Themen und Verschwörungsmythen geben, die in großer Anzahl Rechte mobilisieren werden.